Im Zweifel suedwaerts
fertig und schwer damit beschäftigt, seine Lippen auf Lucys zu drücken und mit den Händen ihren Hintern zu umfassen.
»Der polnische Charme, ich sag dir das. Lecko mio grande!«
»Betty!«
»Was denn, Schätzelein? Tu nicht so, als hättest du nicht dasselbe gedacht.« Sie drückte beiläufig einen weiteren Knopf am Automaten. Der Münzschlitz klackte.
»Payez, s’il vous plaît.«
»Ha!« Betty öffnete zufrieden ihr Portemonnaie. »Wer sagt’s denn?«
»Also ich sag dazu nichts«, murmelte ich, und beobachtete weiterhin mit offenem Mund die Liebesszene vor den Büschen. »Ich sag dazu lieber einfach nichts.«
Eine knappe Stunde später fuhren wir von der Autobahn ab und erreichten Biarritz. Wir hatten an diesem Tag nicht mehr als zweihundert Kilometer Strecke hinter uns gebracht, aber es war Betty nicht zuzumuten, noch länger zu fahren, sie war zu kaputt. Und auch wir anderen hatten keine Lust mehr, im Bus zu sitzen. Biarritz kam uns also sehr gelegen, ein bisschen Glamour konnte schließlich nicht schaden.
Optisch machte die Stadt eine Menge her. Prachtvolle Bauten schmiegten sich in die Bucht wie Perlen in das Dekolleté einer wohlhabenden Dame der besseren Gesellschaft. Die gewundenen, palmengesäumten Straßen, auf denen wir durch den Ort gelangten, boten eine atemberaubende Aussicht auf das tiefblaue Meer. Die Sonne hatte sich eine Lücke in der hellgrauen Wolkendecke erkämpft, und ihre Strahlen zauberten viele kleine Reflexionen auf das Wasser, die glitzerten wie Diamanten. Luxus in Reinform.
»Ganz nett«, kommentierte Betty den Anblick, der sich uns bot, als wir die Promenade entlangfuhren.
Ich fragte mich, wie es wohl war, hier ganz selbstverständlich Urlaub zu machen. In einem der teuren Hotels eine Suite zu buchen, mit Meerblick und Zimmerservice, die Tage mit Lunch, Brunch und Flanieren zu verbringen. Und abends dann in feinster Gesellschaft an einem Dinner teilzunehmen, zu dem man das neue Designerkleid trug, das man in einer der vielen Boutiquen gekauft hatte. Für den Preis von zwei Monatsmieten, die Richard und ich für die Wohnung in Hamburg bezahlten. »Stell dir vor, wir wären reich genug, hier zu leben.«
»Langweilig. Wenn ich reich genug wäre, hier zu leben, würde ich nicht hier leben. Ich würde nach Peru fliegen und ein Meerschweinchen-Menü essen, das würde ich machen«, erklärte Betty.
»Ein Meerschweinchen-Menü?«
»In Peru.«
»Warum?«
»Weil ich es kann, Schätzelein.«
Wir parkten den Bus auf einem Parkplatz unterhalb der Stadt, neben einer kleinen Mauer. Dahinter, ein paar Meter tiefer, war ein kleiner Strand angelegt, auf dem es sich ein paar wild entschlossene Urlauber auf ihren Badelaken bequem gemacht hatten und tapfer ignorierten, dass das Verhältnis von Sonne zu Wolken am Himmel von Biarritz zugunsten der Wolken ausfiel. Weiter draußen im Wasser paddelten ein paar Surfer den Wellen entgegen. Wir standen zu fünft vor dem Bus und ließen das alles auf uns wirken.
»Ganz nett«, sagte Betty wieder.
»Wir waren noch gar nicht schwimmen«, bemerkte Lucy.
Ich rückte meine nutzlose Sonnenbrille zurecht. »Stimmt.« Die Wellen rauschten, Stimmen drangen vom Strand zu uns herauf, und die ernsten Gedanken, die ich mir noch vor einer Stunde gemacht hatte, waren fast selbstverständlich in den Hintergrund getreten. Es war fast so, als ob Skys Bus – die letzte Verbindung zu Hamburg – der einzige Ort war, an dem mir diese Gedanken etwas anhaben konnten. Auge in Auge mit all den sonnigen Urlaubswonnen wurden sie kleiner und schwächer und stellten sich freiwillig leise in die Ecke, wo sie darauf warteten, dass ich ihnen wieder Raum gab.
»Also dann«, hörte ich Karol sagen, »wer zuerst in Wasser ist?«
»Der was?«, fragte ich.
Er war schon dabei, sich seine Schuhe auszuziehen. »Ist zuerst in Wasser?«
Die Aussicht auf das erste Bad im kühlen Meer machte uns alle, egal wie verkatert, verquollen oder übermüdet, sofort wach. Karol zog sich eilig sein T -Shirt über den Kopf und knöpfte seine Jeans auf.
Betty hatte auch schon angefangen, sich auszuziehen. Sie trug seit Remscheid prinzipiell Badesachen unter ihrer Kleidung, um jederzeit eine Runde in welchem Gewässer auch immer schwimmen zu können. Am Morgen in Arcachon hatte ich es ihr gleichgetan.
Viktor war bereits losgegangen, vollständig bekleidet, und irgendwie konnte ich mir sowieso nicht vorstellen, wie er in Badehose aussehen würde. So düster, wie er wirkte, war er das komplette
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