Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
machte sie wütend, dass dieser Kerl ihrer Stiefmutter gegenüber so galant war, während er ihr selbst am liebsten den Kopf abgebissen hätte. Zu müde, um ihre Verstimmung zu verbergen, meinte sie deshalb sarkastisch: „Ach wie nett, unser Gast hat seine Manieren entdeckt. Das lässt wenigstens hoffen. Eleanora, begleite den Lord doch bitte in die große Halle! Hier draußen steht ihr mir nur im Weg.“ Eleanora spitzte empört die Lippen. „Bitte vergebt Valandras rüdes Benehmen. Manchmal fällt es mir wirklich schwer zu glauben, dass sie von edler Geburt sein soll. Sie hat die Manieren einer Bäuerin und eine Wortwahl, die einem Stallburschen zur Ehre gereicht.“
Valandra zwang sich, nicht mitten im Gehen inne zu halten. Sie wusste, dass Eleanora absichtlich laut genug gesprochen hatte, damit sie die Beleidigung mit anhören musste. Schließlich ließ ihre Stiefmutter nur selten eine Gelegenheit aus, um sie vor anderen zu demütigen.
Zu ihrer Schande musste sie sich eingestehen, dass sie es diesmal sogar verdient hatte.
Valandra überlegte kurz, ob sie die unbequeme Rüstung ablegen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Das musste warten. Zuerst gab es wichtigere Dinge, um die sie sich zu kümmern hatte.
Sie wandte sich Owen zu, unter dessen strengem Blick einige Männer die Vorratswagen entluden. So zufrieden hatte sie ihren Hauptmann schon lange nicht mehr gesehen. Ihre Neugierde war augenblicklich geweckt. „Wir sind gerettet!“, rief Owen aufgeregt und deutete auf die unzähligen Getreidesäcke. „Wartet nur, bis Ihr den Inhalt der anderen Wagen seht. Euer Vater hat große Reichtümer im Krieg erbeutet. Truhen mit Gewürzen, Seide, duftende Öle und jede Menge fremdländischer Zierrat. Sogar eine Kiste mit Gold und Juwelen habe ich entdeckt.“
„Dem Himmel sei Dank!“, rief Valandra und fiel Owen vor Erleichterung um den Hals. Die verschiedensten Gefühle drohten sie beinahe zu überwältigen. So viele Nächte hatte sie aus Sorge um ihr Heim wach gelegen. Nun durfte sie endlich wieder auf ein gutes Ende hoffen. Tiefe Liebe und Dankbarkeit durchströmten sie, weil ihr Vater trotz seiner schweren Verletzung und der Schmerzen an seine Lieben daheim gedacht hatte. „Ich wusste, dass Papa uns nicht im Stich lässt.“
Owen erwiderte die Umarmung etwas ungelenk und lachte gutmütig. „Aye, Kindchen, Ihr habt nie daran gezweifelt. Nun wandelt sich alles zum Guten. Mit den Vorräten und den neuen Männern wird es uns ein Leichtes sein, die Burg bis zur Heimkehr Eures Vaters zu halten.“
Valandra befreite sich aus seinen Armen und straffte energisch die Schultern. „Wir dürfen nicht trödeln. Der Regen lässt gewiss nicht mehr lange auf sich warten, und es ist noch viel zu tun. Lass die Vorräte in die Küche tragen.
Gweneth wird sich darum kümmern. Die restlichen Dinge bringen wir in der Schatzkammer unter.“ Sie zögerte einen Augenblick. „Alles bis auf die Truhe mit dem Gold und den Juwelen. Owen, ich möchte, dass du die Kiste an dich nimmst. Verbirg sie gut, damit meine Stiefmutter und Dalvina nichts davon erfahren. Papa wäre bestimmt nicht erfreut, wenn er bei seiner Heimkehr kein Gold mehr vorfinden würde.“
Owen fühlte sich sichtlich geehrt. „Ich werde die Truhe wie einen Augapfel hüten.“
„Und ich werde mich nun um unsere Gäste kümmern.“
Mit diesen Worten verließ Valandra den Hauptmann und blieb vor einem seltsam gewandeten, dunkelhäutigen Mann stehen, der gerade Anweisungen an Ranulfs Männer erteilte. Er trug einen dunkelblauen, wallenden Kaftan, der vorn offen stand und den Blick auf Pluderhosen und ein weißes Leinenhemd frei gab. Seine Füsse steckten in kniehohen Lederstiefeln, und um seine Mitte hing ein seltsam gebogenes Schwert, dessen Klinge die Form eines
Halbmondes aufwies. Sein rabenschwarzes Haar wurde größtenteils von einem Turban bedeckt. Eine überaus stattliche Erscheinung, fuhr es Valandra durch den Sinn. Der junge Mann mit den angenehmen Gesichtszügen konnte kaum älter als sie selbst sein, und doch lagen in seinen Augen eine innere Ruhe und Abgeklärtheit, die ihn wesentlich älter wirken ließen.
„Ich hörte, dass einige der Männer der Pflege bedürfen“, sprach sie ihn an. „Welcher Art sind ihre Verletzungen?“
Kasim ließ seine schwarzen Augen anerkennend über Valandras Körper wandern und schenkte ihr ein offenes Lächeln. „Beim Anblick Eurer Schönheit verzeihe ich diesem Land sogar das trostlose Wetter.“
Valandra
Weitere Kostenlose Bücher