Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
von Plünderungen, Not und Verwüstung waren überall gegenwärtig. Ich sah halb verhungerte Menschen, die Gräber aushoben, um jene zu beerdigen, die der Hungertod bereits dahingerafft hatte. Bevor Ihr Lady Valandras Handeln verurteilt, solltet Ihr auf Eure fetten Knie sinken und Eurem Herrn für ihre Hilfe danken. Lady Valandra hat ausgezeichnete Arbeit geleistet, und sie verdient unseren vollen Respekt. Solltet Ihr sie noch einmal beleidigen, werdet Ihr es bereuen.“
Owen und Kasim nickten zustimmend, während die restliche Tischgesellschaft – Valandra eingeschlossen - ihn nur sprachlos anstarrten.
„Ihr widersprecht Euch selbst, Lord de Bretaux. Wenn Ihr tatsächlich so von ihren Fähigkeiten überzeugt seid, weshalb habt Ihr Valandra die Befehlsgewalt dann abgenommen?“, fragte Eleanora spitz.
„Weil ich Lord Lamont diesen Schwur geleistet habe. Wenn dem nicht so wäre, hätte sich hier nichts verändert.“
Das entsprach sogar der Wahrheit. Wenn Ranulf nicht gezwungen gewesen wäre, seine Schuld bei dem Schotten abzutragen, hätte er nie einen Fuß nach Walkmoor Castle gesetzt.
„Das kann nicht Euer Ernst sein!“, empörte sich Pater Ignatius. „Wie könnt Ihr Lady Valandras undamenhaftes Verhalten gutheißen? Sie hat sich selbst in die Position der Burgherrin erhoben, obwohl ihr dieses Recht nicht zusteht! Ihr unbeugsamer Stolz grenzt an Blasphemie, und ihre Weigerung zu beichten wird sie auf direktem Weg in die ewige Verdammnis führen!“
„Senkt Eure Stimme! Ihr seid hier nicht in Eurer Kapelle!“, donnerte Ranulf drohend. Seine Stimme klang so scharf wie ein Peitschenhieb. „Lady Valandra hat sich so verhalten, wie es die Umstände verlangten.“
„Dennoch hat sie sich versündigt! Die Kirche macht keine Ausnahmen!“
Ranulf lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fixierte Pater Ignatius mit einem kalten Blick. „Ich habe Euch gewarnt. Ihr solltet nie die Hand beißen, die Euch füttert!“
Ranulf gab einem Dienstmädchen das Zeichen, Pater Ignatius’ Teller abzuräumen. „Soweit ich weiß, hat die Fastenzeit bereits begonnen. Es muss hart sein, all diese Köstlichkeiten zu sehen und nichts davon essen zu dürfen.“
Pater Ignatius blickte sich verwirrt nach seinem Teller um. „Was soll das heißen?“
„Es bedeutet, dass Ihr Euch die verbleibenden sechsunddreißig Tage bis Christi Auferstehung an die Fastenzeit halten werdet. Ganz so, wie es die Kirche vorschreibt.“
„Aber das könnt Ihr nicht von mir verlangen!“, rief Pater Ignatius, von Grauen gepackt. „Den ganzen Winter hindurch hatten wir kaum etwas zu essen! Es wäre barbarisch, diese Tortur noch länger fortzusetzen!“ „Das ist die Wahrheit“, mischte sich Eleanora ein. „Ich bitte Euch, Lord de Bretaux, habt ein Herz!“
Ranulfs eindringlicher Blick ruhte noch immer auf dem Pater. „Es ist Fastenzeit. Und wie Ihr selbst sagt, die Kirche macht keine Ausnahme!“
Tiefer Hass spiegelte sich in den Augen des Paters, als er seinen Stuhl zurückschob und sich schwerfällig erhob. Sein Blick fiel auf Valandra.
„Das ist allein deine Schuld! Warte nur, eines Tages wirst du dafür büßen!“ Ranulf rammte seinen Dolch mit voller Wucht in die Tischplatte und hatte sogleich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden. „Lady Valandra hat nichts damit zu tun!“, erklärte er kalt. „Solltet Ihr sie noch einmal bedrohen oder ihr auch nur den nötigen Respekt schuldig bleiben, werdet Ihr Euch wünschen, das Kloster niemals verlassen zu haben.“ Sein Blick glitt von Eleanora zu Dalvina. „Das gilt auch für Euch! Ich werde keine weiteren Feindseligkeiten mehr dulden!“
Kapitel 10
Die nächsten beiden Wochen verliefen in ruhigem Alltagstrott. Man hätte die Zeit beinahe harmonisch nennen können, wenn man die unterschwellige, frostige Atmosphäre außer Acht gelassen hätte. Eleanora und Dalvina verkniffen sich ihre Sticheleien und ignorierten Valandra stattdessen hoheitsvoll. Sie sprachen kein Wort mit ihr und verließen augenblicklich den Raum, wenn sie denselben betrat. Ihre offen gezeigte Ablehnung verdeutlichte Valandra, dass auch sie der Überzeugung waren, sie allein trage die Schuld an Pater Ignatius‘ erzwungener Fastenzeit.
Zuerst hatte dieser Umstand sie sehr getroffen, doch inzwischen genoss sie die Ruhe in vollen Zügen. Sogar bei den Dienstboten schien eine Veränderung vor sich zu gehen. Sie schlichen nicht länger auf Zehenspitzen durch die Gänge, weil sie Angst hatten, Eleanoras
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