Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
musste sie nur so verletzlich und hilflos aussehen? Es ärgerte ihn über die Maßen, dass er plötzlich den Drang verspürte, sie tröstend in seine Arme zu ziehen. Himmel, er war doch kein Weichling! Außerdem tat er das alles nur zu ihrem Besten.
Die Verantwortung hatte lange genug auf ihren Schultern gelastet. Es war an der Zeit, dass sie wieder in ein normal geregeltes Leben zurückfand. Auch musste er verhindern, dass die Lamont-Krieger in einen Gewissenskonflikt gerieten. Ein Mann konnte nur einem Herrn dienen. Alles andere wäre zu gefährlich und würde früher oder später zu schweren Auseinandersetzungen führen.
„Also, wie entscheidest du dich?“
„Meine Antwort liegt auf der Hand. Wie du sehr wohl weißt!“ Valandra hätte es niemals ertragen können, wenn jemand ihretwegen leiden müsste. Das bittere Gefühl, versagt zu haben, schnürte ihr die Kehle zu, und sie fürchtete, sogleich in Tränen auszubrechen, wenn sie nicht schleunigst von diesem Tyrannen wegkam.
„Nimm endlich deine Hände weg“, forderte sie matt. „Ich werde mit den Burgbewohnern sprechen.“
Ranulf gab sie frei und schaute ihr schweigend nach, als sie aufrecht den Weg zum Burghof zurückging. Er hatte gewonnen. Aber sein Sieg hatte einen bitteren Beigeschmack.
Kapitel 9
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch danken oder Euch zum Teufel wünschen soll, Mylord“, erklärte Owen ehrlich, als er eine Stunde später mit Ranulf den Wehrgang entlangschritt und auf den Übungsplatz hinunterschaute. Er hatte mit dem Lord das ganze Burgareal inspiziert und ihm all die strategischen Fragen über die angrenzenden Besitzungen der Nachbarlords beantwortet. Nun waren sie am Ende ihrer Besichtigung und blickten auf den riesigen Übungsplatz hinunter, auf dem die Krieger sich im Schwertkampf übten.
„Ich bevorzuge Euren Dank. Der Teufel kann warten“, teilte Ranulf ihm ruhig mit.
Nach Valandras kurzer Ansprache hatte es zunächst große Verwirrung und Aufbegehren unter den Lamont-Kriegern gegeben. Mit Erstaunen und leiser Bewunderung hatte Ranulf erkannt, dass die Männer in Valandra eine fähige Heerführerin sahen, der sie loyal und zutiefst ergeben in jeden Krieg folgen würden. Diese zierliche Frau besaß unter ihren Männern mehr Ansehen als so mancher erfahrene Kriegsherr.
Einige spannungsgeladene Minuten lang hatte es sogar so ausgesehen, als wollten sich die Krieger gegen die Neuankömmlinge zur Wehr setzen. Valandra hatte jedoch energisch eingegriffen und ihnen versichert, dass sie selbst Ranulf um diesen Gefallen gebeten habe. Sie hatte zudem beteuert, dass dies im Sinne ihres Vaters sei, und die Männer mit belegter Stimme gebeten, Ranulf ebenso stolz auf sie zu machen, wie sie es auf jeden Einzelnen von ihnen war. Owen blieb stehen und beobachtete eine zierliche Gestalt, die in schneller Folge einen Pfeil nach dem anderen auf die Zielscheibe schoss.
Valandra.
„Ich wusste es!“ Sein Blick heftete sich vorwurfsvoll auf den schweigsamen Riesen neben sich. „Ich habe keine Sekunde lang daran geglaubt, dass Lady Valandra Euch freiwillig die Befehlsgewalt überlassen hat. Und hier ist der Beweis!“
Ranulf folgte seinem Blick und hob fragend die Augenbrauen. „Lady Valandra hat zweimal danebengeschossen! Das geschieht nur, wenn sie äußerst zornig ist.“
Ranulf war ehrlich verblüfft. „Ich sehe keinen einzigen verschossenen Pfeil.“ „Pah, Ihr kennt Lady Valandra nicht! Wie Ihr unschwer erkennen könnt, hat sie zweimal das Schwarze verfehlt. Ein Umstand, der schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Sie muss in der Tat sehr aufgebracht sein.“
Ranulf beobachtete, wie Valandras Pfeile zielsicher die Mitte der Schießscheibe trafen, und war von ihren Fähigkeiten als Schützin tief beeindruckt. Sie zeigte tatsächlich die Treffsicherheit eines Meisterschützen.
Bisher war er davon überzeugt gewesen, dass niemand es mit Malvens Bogenschießkunst aufnehmen könnte, doch nun kamen ihm ernste Zweifel. Hatte er Valandra am Ende Unrecht getan? Ranulf zog nachdenklich die Stirn in Falten. Sie besaß sowohl das Ansehen ihrer Krieger als auch das Geschick im Umgang mit Waffen. Beides waren Tugenden, die einen fähigen Heerführer auszeichneten. Vielleicht hatte er vorschnell gehandelt. Vielleicht hätte er ihr tatsächlich die Führung der Burg überlassen und sich im Hintergrund um das Nötigste kümmern sollen.
Oui, vielleicht, doch für solche Überlegungen war es jetzt zu spät. Er hatte gehandelt, wie er
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