Im Zwiespalt der Gefuehle
Spitze.
»Benimmt er sich immer so? « fragte Daire Xante und blickte auf Rowan, von dem er angenommen hatte, daß er ein Irial wäre, der aber nun einen Zerna behandelte wie einen Freund. »Wie ist es dir überhaupt gelungen, ihn heil herzubringen? « fragte er verwundert.
Xante betrachtete Rowan und Keon mit gerunzelter Stirn. »Bis heute war er so zahm wie ein Schoßhündchen, Seine Schwester hat mehr Temperament gezeigt als er. Außerdem dachte ich, er spräche nur Englisch. «
»Wenn er weiter allein gegen die Zernas reitet, wird er nicht mehr lange leben«, fuhr Daire bissig fort. »Wir sollten nicht versuchen, ihn an seinen Dummheiten zu hindern. Nach dem, was er heute getan hat, wäre er imstande, die Tore von Escalon jedem Belagerer freiwillig zu öffnen. Einen so einfältigen Herrscher könnte Lankonien nicht verkraften. Nein, wir sollten wirklich keinen Versuch un ternehmen, ihn an Torheiten zu hindern. So werden wir ihn einfach und schnell los. Dann wird Geralt König. «
»Ist er wirklich so einfältig, wie du behauptest? « fragte Cilean. »Wenn wir diese Männer angegriffen und Brocains Sohn getötet hätten, würde Brocain zweifellos an Hunderten von Irials Vergeltung üben. Aber jetzt kann er uns nicht angreifen, denn wir haben seinen Sohn als Geisel! Und hast du wirklich nicht gemerkt, daß er unsere Sprache versteht, Xante? Ich muß sagen, das überrascht mich sehr! Schließlich seid ihr doch wochenlang zusammen geritten! Was kann dieser Mann noch, frage ich euch?! Wieviel weiß er über uns? « Cilean trieb ihr Pferd neben das von Rowan.
Den ganzen Abend über beobachtete sie Rowan, seine Schwester, seinen Neffen und seine Männer, die sich um das Feuer vor Rowans prächtigem Seidenzelt geschart hatten. Der Zema Keon saß ganz in der Nähe. Er war still, aber aufmerksam. Cilean bemerkte, daß Rowans Benehmen Keon ebenso fremd war wie den Irial. Der angehende König hielt seinen Neffen auf dem Schoß und flüsterte ihm etwas ins Ohr, und der kleine Junge kreischte vor Vergnügen. Kein lankonisches Kind dieses Alters würde je so von seinem Vater gehalten. Mit vier Jahren bereits wußte ein lankonischer Junge seine Waffen zu gebrauchen, und nicht anders erging es den Mädchen, die für die weibliche Palastgarde ausersehen worden waren.
Cilean beobachtete auch verwundert, daß Rowan seiner Schwester oft zärtlich zulächelte. Sie hörte, wie er Lora fragte, ob sie es auch bequem hätte. Cilean überlegte, wie es wohl wäre, mit diesem Mann, der voller Widersprüche steckte, zu leben. Da ritt er allein gegen drei Zernas, und zwei Stunden später spielte er mit einem Kind und scherzte mit einer Frau! War ein solcher Mann ein guter Krieger? Würde er je ein guter König sein?
Sehr früh am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, bliesen die Hörner der Wachen Alarm. Sofort warfen die Lankonier ihre leichten Schlafdecken beiseite und standen auf.
Rowan stürzte, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, aus seinem Zelt. Zum ersten Mal bekamen die Lankonier Rowans Körper ohne Kleidung zu Gesicht. Ihnen gingen die Augen über, als sie Rowans Muskeln sahen. Das war kein Schwächling, wie sie alle gedacht hatten, denn solche Muskelpakete wurden einem Mann nicht von der Natur geschenkt, wie sie sehr wohl wußten. Da steckte langes, hartes Training dahinter…
»Was ist los? « fragte Rowan Xante auf Irial.
»Zema«, war Xantes grimmige Antwort. »Brocain will um seinen Sohn kämpfen. Wir werden ihn schlagen. « Er wollte sein Pferd besteigen.
Rowan riß Xante herum. »Wir werden nicht angreifen! Ihr mögt ja denken, daß Ihr tapfer seid — aber ich sage Euch, daß die Lankonier endlich mit diesem Brudermord aufhören müssen! Keon! « schrie er nach hinten, »zieh dich an, damit wir uns mit deinem Vater treffen können. «
Xante sah Rowan kalt an. »Es ist Euer Leben — nicht meines. «
Rowan schluckte die zornigen Worte, die er ihm ins Gesicht schleudern wollte, wieder hinunter. Er wies auch Neile, der sich gerade auf Xante stürzen wollte, mit einem warnenden Blick in die Schranken.
Innerhalb von wenigen Minuten war er angekleidet. Er trug kein Kettenhemd, als ginge es in eine Schlacht, sondern ein prächtiges Gewand aus besticktem Samt, das einem gesellschaftlichen Ereignis bei Hofe angemessen gewesen wäre. Rowan schnitt eine bittere Grimasse, als er die lächelnden Blicke der Lankonier bemerkte. Keon schüttelte verwundert den Kopf. Der Junge wünschte sich in diesem Moment, er hätte
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