Im Zwiespalt der Gefuehle
wird mein Nachfolger. Aber nicht, wenn er so dumm bleibt. «
»Er ist nicht dumm. Nur sehr jung und heißblütig. Außerdem ist er ein miserabler Schütze. Ich möchte ihn bei mir behalten, um ihm zu zeigen, daß die Irial keine Dämonen aus der Unterwelt sind. Vielleicht wird es auf diese Weise möglich sein, Frieden zwischen unseren Stämmen zu schaffen. « Dann zwinkerte Rowan amüsiert. »Außerdem möchte ich seine Schießkünste verbessern. «
Brocain musterte Rowan ein paar Minuten schweigend. Rowan zwang sich, diesem Blick standzuhalten, weil er wußte, daß der schreckliche alte Mann gerade eine Entscheidung über Leben und Tod fällte. Rowan glaubte nicht, daß sich ein solch alter Kämpe von einem Gefühl wie Vaterliebe beeinflussen ließ. »Der alte Thal kann Euch nicht erzogen haben«, stellte Brocain schließlich fest. »Er hätte meinen Sohn schon längst getötet. Wie wollt Ihr mir für seine Sicherheit garantieren? «
»Ich gebe Euch mein Wort«, entgegnete Rowan fest. »Wenn ihm von einem Irial ein Leid geschieht, dürft Ihr meinen Kopf fordern. « Rowan hielt den Atem an.
»So, Ihr verlangt also, daß ich Euch vertraue, ja? « sagte Brocain. »Nun gut. Wenn ihm etwas geschieht, werdet Ihr langsam und qualvoll sterben. «
Rowan nickte nur.
Brocain schwieg, während er Rowan eingehend betrachtete. Dieser Mann hatte etwas an sich, was ihn von jedem Lankonier unterschied. Obwohl er prächtiger gekleidet war als jede Frau, war er doch nicht weibisch. Mit einmal fühlte sich Brocain alt und müde. Ein Sohn nach dem anderen war auf dem Schlachtfeld gefallen. Seine drei Frauen hatten im Kampf den Tod gefunden. Jetzt hatte er nur noch diesen Jungen…
Brocain sah seinen Sohn an. »Reite mit diesem Mann. Versuche von ihm zu lernen. « Dann wandte er sich wieder an Rowan: »Drei Jahre. Schickt ihn in drei Jahren wieder zu mir, oder ich werde Eure Stadt dem Erdboden gleichmachen. « Er wendete sein Pferd und galoppierte wieder zu den Zerna.
Keon starrte Rowan an, als hätte er gerade ein Wunder vollbracht, doch er sagte nichts.
»Los, Junge. Reiten wir heim«, sagte Rowan schließlich erleichtert. »Bleib immer in meiner Nähe, bis die Irial sich an dich gewöhnt haben. Ich möchte nicht von deinem Vater gefoltert werden. «
Während Rowan und der Junge an Cilean vorbeiritten nickte Rowan ihr kurz zu. Sie folgte ihm sprachlos. Dieser Engländer, der so aussah, als wollte er einer Frau den Hof machen, hatte gerade ein Wortgefecht mit Brocain bestritten und war Sieger geblieben! »Das würde ich nicht tun! « hatte er gesagt, als er zum Kampf herausgefordert worden war — doch Cilean hatte sehr wohl bemerkt, wie er nach seinem Schwert gegriffen hatte. Er hatte einfach Brocain gesagt, daß die Irial Keon bei sich behalten würden! Er hatte nicht mit der Wimper gezuckt, keinerlei Furcht gezeigt!
Selbst als sie bei den anderen ankamen, war sie nicht fähig zu sprechen. Dieser Rowan sah nicht nur anders aus — er war auch anders! Entweder war er der größte Dummkopf, den die Erde je gesehen hatte, oder er war der größ-te Held aller Zeiten! Zum Wohle Lankoniens und — sie lächelte versonnen — auch für ihre eigene Zukunft hoffte sie sehr, daß die zweite Möglichkeit zutraf.
3. Kapitel
Jura stand regungslos mit gezücktem Bogen da und wartete darauf, daß der Bock in die richtige Schußposition kam. Das dunkle Grün ihrer Tunika und der langen Hosen verschmolz mit dem Laub des Waldes, so daß sie für das Wild unsichtbar blieb. In dem Moment, als sich das Tier umdrehte, schoß sie. Geräuschlos und graziös sank der Bock zu Boden.
Sofort stürzten sieben junge Frauen aus dem Dickicht. Alle waren groß, schlank, und ihr dickes, dunkles Haar hing in einem langen Zopf den Rücken herunter. Wie Jura trugen auch sie die grüne Jagdtunika und die Hosen der weiblichen Garde.
»Ein guter Schuß, Jura«, lobte eine der Frauen.
»Ja«, erwiderte Jura abwesend und spähte in den Wald, während die Frauen damit begannen, das Wildbret abzuziehen und auszuweiden. Eine innere Spannung veranlaßte sie an diesem Abend, so unruhig wie möglich zu bleiben. Irgend etwas würde heute noch passieren, das wußte sie. Vier Tage waren vergangen, seit Daire und Cilean abgeritten waren. Jura vermißte ihre Freundin sehr. Ihr fehlten Cileans hintergründiger Humor, ihre Intelligenz und die innigen, vertrauten Gespräche. Natürlich fehlte ihr auch Daire. Weil sie zusammen aufgewachsen waren erschien ihr seine Gegenwart
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