Im Zwiespalt der Gefuehle
ihrerseits und einem widerwilligen Respekt seinerseits geprägt gewesen. Sie ahnte seit langen, daß er am frühen Tod ihrer Eltern mitschuldig geworden war. Sie war mit fünf Jahren Waise geworden. Sie hatte Zuneigung und Liebe gebraucht, als sie an seinen Hof gekommen war — aber Thal hatte nur gesagt, sie sollte aufhören zu heulen, und ihr ein Schwert in die Hand gedrückt. Als sie sechs war, hatte ihr Daire Bogenschießen beigebracht.
»Ihr habt nach mir gerufen? « fragte Jura und blickte auf Thal hinunter. Ihr Gesichtsausdruck machte nur allzu deutlich, was sie von seinem weichen Lager hielt. Der Engländerin gönnte Jura keinen Blick.
»Ah, Jura«, sagte Thal mit einem Lächeln. Er sah aus wie ein erschöpfter alter Mann — nicht wie der große lankonische Krieger, der Tausende von Eindringlingen zurückgeschlagen hatte. »Es ist ein herrlicher Tag heute. Kennst du meine Tochter? «
Juras Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Ihr habt nur ein Kind. Einen lankonischen Sohn. « Voller Genugtuung hörte sie, wie die Engländerin scharf ausatmete. Jura lächelte zufrieden. Nur gut, daß wenigstens einer diesen englischen Eindringlingen sagte, daß sie nicht erwünscht waren.
Thal seufzte und ließ sich in die Kissen sinken. »Jura, Warum bist du so verbittert? Sie sind ebenso meine Kinder wie Geralt. « Er sah an Jura vorbei und lächelte. Sie ahnte, daß sein englischer Sohn sich näherte. »Hier ist jemand, der dich zweifellos zum Lächeln bringen wird. «
Jura hielt sich sehr gerade, biß die Zähne zusammen und drehte sich um, um den Mann kennenzulernen, den sie haßte.
Ein Schauder lief durch ihren Körper, als sie ihn erblickte. Ihre Knie wurden weich. Er streckte die Hand aus und ergriff ihren Unterarm. Selbst diese sanfte Berührung verursachte ihr eine Gänsehaut. Er! Wie war das möglich? Warum hatte sie nicht bemerkt, daß er blond war? Dann erinnerte sie sich daran, daß sein Haar bei ihrer ersten Begegnung naß gewesen war. Und im Stall war es dunkel gewesen…
Sie riß sich los, und irgendwie brachte sie es fertig, ihm den Rücken zuzudrehen.
»Ihr kennt euch schon? « fragte Thal.
»Nein«, preßte Jura hervor.
»Ja«, rief Rowan gleichzeitig.
Jura stand steif da und weigerte sich, ihn anzusehen. Er war ihr so nahe, daß sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Aber eines wußte sie: Er hatte sie benutzt. Er dachte wahrscheinlich, wenn er sie auf seiner Seite hätte, dann würden vielleicht Geralt und die anderen auch zu ihm überlaufen.
»Ich hatte bereits die Ehre, die Lady kennenzulernen«, ertönte Rowans Stimme hinter Jura.
Zu Juras Entsetzen legte er seine Hand auf ihren Rücken und umfaßte das Ende ihres Zopfes.
»Ich habe auch schon von Euch gehört«, meinte Lora höflich. Jura sah die Frau immer noch nicht an. »Aber mir wurde nur von Euren Fertigkeiten im Umgang mit Waffen berichtet, aber nicht von Eurer Schönheit. «
Jura hielt ihren Blick starr auf einen Baum gerichtet.
»Jura! « brüllte Thal, dann brach er hustend zusammen. Lora kümmerte sich um ihn. Zu Juras Mißfallen erlaubte Thal das nicht nur, sondern er schien es sogar zu wünschen! Jura wollte vor Rowan flüchten, doch er hielt sie immer noch an ihrem Zopf fest.
»Du wirst meine Kinder mit Achtung behandeln«, sagte Thal heiser. »Danke gefälligst meiner Tochter für ihr nettes Kompliment. «
Jura sah stur vor sich hin und schwieg. Es war schwer, sich auf etwas zu konzentrieren, wenn dieser Mann so dicht bei ihr stand.
Als Thal sich wieder erheben wollte, beruhigte Lora ihn: »Bitte, Vater. Quäle dich nicht. Ich bin sicher, daß Jura solche Komplimente schon oft gehört hat. Rowan, dein Knappe und dein Gefangener scheinen sich gegenseitig töten zu wollen. Kümmere dich um sie. «
Jura sah ihn nicht an, aber sie fühlte, wie er zögerte. Er bewegte sich erst, als man Eisen klirren hörte. Neugierig drehte sich Jura um. Sie sah, wie er auf die beiden Jungen zustürmte, die gerade dabei waren, sich umzubringen. Jura erkannte in dem einen den jungen Mann, der ihr gemeldet hatte, daß sie in den Ställen gebraucht wurde. Er war so dunkel wie ein Lankonier — sie hatte nicht bemerkt, daß er Engländer war, weil er seine Botschaft in reinstem Irial vorgebracht hatte. Sie fragte sich, ob er sie wohl auswendig gelernt hatte.
Rowan ging auf die Jungen zu. Ohne zu zögern stellte er sich furchtlos zwischen die beiden, die mit dem Schwert aufeinander losgegangen waren. Rowan schlug ihnen so hart auf die
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