Im Zwiespalt der Gefuehle
vorne fiel. Sie hatte sich an einen Baum gelehnt, aber sie hatte es geschafft, fast die ganze Nacht wach zu bleiben. Doch kurz vor Sonnenaufgang hatte sie die Müdigkeit dann doch übermannt.
»Du bist in Sicherheit«, sagte eine Stimme.
Sie blickte Rowan verwirrt an. Er lagerte neben ihr auf dem Boden, und es sah so aus, als hätte er ebenfalls geschlafen.
»Wie lange seid Ihr schon hier? « zischte sie und rieb sich die Augen.
»Als du eingeschlafen bist, habe ich mich neben dich gelegt. «
Sie reckte sich und versuchte ihren Rücken zu ignorieren.
»Sieh mal«, meinte er und wies auf die Bauernkate. Die behäbige Hausfrau kam gerade aus der Tür und kratzte sich. »Sie sind wach. Also sind wir hier sicher. Ich habe dich doch gebeten, mir zu vertrauen. Brita ist sehr interessiert an meinem Vorhaben, die Stämme zu einen. Gestern abend haben wir stundenlang darüber gesprochen. «
Sie sah ihn an. Das Licht des frühen Morgens ließ sein Haar hell strahlen. Seine Augen waren so blau wie das Wasser eines Sees. »Habt Ihr das Öl aus Eurem Haar ge waschen, um besser reden zu können? Habt Ihr herausgefunden, was sie so sehr begehrt, daß es sie davon abhält, zwei Irials zu töten? «
Rowan zog eine Grimasse. »Jura, bitte lerne sie kennen. Sie ist eine intelligente Frau, und ich glaube, du wirst sie mögen. «
Jura wußte, daß sie kindisch reagierte. Immerhin war diese Frau Daires Mutter. Und Daire hatte Jura immer geliebt. Vielleicht würde ihr diese Frau wirklich gefallen. Jura stand auf. »Ich möchte sie kennenlernen. «
Rowan stand ebenfalls auf und lächelte ihr zu. »Das wirst du nicht bedauern«, meinte er überzeugt.
Jura hielt sich sehr gerade, als sie die Hütte betrat. Brita saß auf einem Schemel, der einer großen Kohlenpfanne gegenüber stand. Sie sah auf, als Jura eintrat.
Jura spürte, daß sie das Wesen dieser Frau sofort erkannte. Brita war eine Frau, die immer in einer Männerwelt gelebt hatte. Natürlich hatte Jura auch gehört, was man sich über Brita erzählte. Oft hatte sie sich darüber gewundert, wie es einer Frau gelungen war, die Herrschaft über einen ganzen Stamm zu erlangen und — was noch schwieriger war — zu behalten. Aber als sie das Glitzern in Britas schwarzen Augen sah, wußte sie alles. Jura erkannte den Ehrgeiz und die Kraft in diesem Blick. Jura hatte Daire einmal gefragt, warum Brita nicht mit Thal eine Fehde anfing, um die Rückkehr ihres ältesten Sohnes zu erzwingen. Aber jetzt erkannte Jura, daß Brita ihren Thron nicht wegen einer Einzelperson, selbst wenn es ihr Sohn war, aufs Spiel setzen würde.
Und Jura erkannte auch, daß Brita in ihr eine Feindin sah. Jura sträubten sich die Haare, als sie die wunderschöne Frau musterte.
»So«, sagte Brita mit ihrer tiefen Stimme. »Ihr seid also die Frau, die meinen Sohn verschmäht hat. Die Frau, die ihre beste Freundin betrog, um einen englischen König für sich zu gewinnen. «
Zuerst wollte sich Jura verteidigen und alles erklären, poch dann ließ sie es. »Ja«, erwiderte sie statt dessen. »Es ist besser, Königin der Irial als die der verhungernden Vatell zu sein. «
Sie hörte Rowan hinter ihrem Rücken stöhnen, doch sie richtete ihren Blick auf Brita. Sie verstanden einander, und jetzt herrschte Krieg zwischen ihnen.
»Nach allem, was ich gehört habe, eine jungfräuliche Königin«, schoß Brita sanft zurück und ließ ihren Blick über Jura gleiten. Sie lächelte, als sie Juras Aufzug betrachtete: Die tiefblaue Tunika und Hose der weiblichen Vatellgarde, kombiniert mit Pfeil und Bogen auf dem Rücken. Sie stand in krassem Gegensatz zu Britas herrlichem Kleid und der prächtigen goldenen Halskette, die mit großen Smaragden besetzt war. »Vielleicht wünscht sich Euer Ehemann eine Frau, die nicht ganz so männlich ist. Vielleicht würde ihm ja eine richtige Frau besser gefallen… «
Aha, dachte Jura. Sie will Rowan für sich. »Er wurde leicht gewonnen und schnell verloren«, sagte sie laut. Dann drehte sie sich um. Rowan blockierte die Tür, und sie mußte ihn beiseite stoßen, um hinauszugelangen.
Sie lief über eine Meile durch den Wald, ehe sie an einen kleinen Fluß kam. Dort streifte sie die verhaßte Kleidung der Vatell ab und sprang ins kalte Wasser. Sie wollte schwimmen und den Gestank von ihrem Körper waschen. Noch nie in ihrem Leben war sie so unglücklich gewesen. Selbst als ihre Eltern damals kurz hintereinander gestorben waren, hatte sie sich nicht so verloren gefühlt.
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