Im Zwiespalt der Gefuehle
Wie will er uns denn unterjochen? Wir waren schon lange vor ihm an der Macht, er müßte uns umbringen. «
»Soweit ich es beurteilen kann, will er niemanden töten. Dieser Mann verabscheut den Tod. Er hat noch nicht einmal die Zerna umgebracht. «
Diese Neuigkeit schockierte Brita so sehr, daß sich ihr ein kleiner Schluchzer entrang. »Er glaubt also, daß es keine Toten geben wird, wenn Yaine und ich uns zusammentun? «
Für einen Augenblick empfand Jura fast so etwas wie Sympathie für Brita. »Er ist Engländer, und er hat einen ungeheuren Dickkopf. Außerdem glaubt er, daß Gott zu ihm spricht. Ich verstehe ihn nicht, aber Thal hat ihn zum König ernannt, und er ist an der Macht, bis… bis —«
»Bis ihn jemand tötet. Er wird nicht mehr lange auf dieser Erde bleiben«, stellte Brita abschließend fest. »Wie gut, daß ich ihn nicht geheiratet habe. «
Jetzt war sie wieder Juras Feindin. »Er wollte Euch nicht zur Frau. Jetzt laßt uns zurückgehen. Heute nacht werdet Ihr bewacht werden. Während mein Mann den Tod haßt und mein Bruder Frauen fesselt, möchte ich zu gern einen neuen Trick mit dem Messer, den ich erst kürzlich gelernt habe, ausprobieren. Ich werde Euch töten, wenn Ihr versucht zu fliehen. «
Brita erwiderte nichts. Sie gingen zum Lager zurück. Brita saß abseits, während die anderen ein Feuer anzündeten und ein einfaches Mahl zubereiteten. Sie beobachtete Rowan, der König von Lankonien genannt wurde, aber in Wahrheit nur König der Irial war. Er hatte nur Augen für Jura. Brita hielt ihn für einen Narren. Er hatte sich offenbar in das Mädchen verliebt, und das machte ihn verwundbar. Wenn man an der Macht war, konnte man sich keine Gefühle leisten. Sie wußte das nur zu gut. Daires Vater hatte sie das gelehrt. Sie hatte einen jungen Mann von ganzem Herzen geliebt, und Daires Vater hatte befohlen, ihn zu töten. Was Brita damals am meisten aufbrachte war die Tatsache, daß ihr Mann nicht eifersüchtig gewesen war
— er hatte ihr nur etwas klarmachen wollen. Wenn man liebte, war man schwach… Brita hatte aus diesem Vorfall Lehren gezogen, und sie hatte nie wieder geliebt. Nicht ihren Mann und nicht ihren Sohn, den man ihr fortgenommen hatte — niemanden.
Jetzt sah sie, wie Rowans Blicke Jura folgten, und sie registrierte seine Schwachstelle. Er würde nie sein Ziel erreichen, denn er war schwach.
Sie musterte die anderen Mitglieder der Gruppe. Cilean beachtete sie kaum. Sie war eine gute Frau: lieb, nett, hübsch — wertlos. Jura bot schon andere Möglichkeiten — sie wußte bis jetzt noch nicht, daß sie Rowan liebte, deshalb war sie freier in ihren Entschlüssen. Sie hatte gelernt zu töten. Brita wußte, daß sie vor Jura auf der Hut sein mußte.
Brita musterte Daire sehr lange. Er war ein gutaussehender junger Mann, und Brita entdeckte einige körperliche Ähnlichkeiten mit seinem Vater, aber von der Unbekümmertheit seines Vaters konnte sie nichts an ihm feststellen. Außerdem schien Daire nicht den Ehrgeiz seiner Mutter geerbt zu haben. Brita glaubte nicht, daß ihr Sohn sie gegen diesen englischen Thronräuber unterstützen würde. Nein, Daire war mehr ein Irial als ein Vatell.
Zum Schluß ruhten ihre Augen auf Geralt, und da entdeckte sie endlich das, was sie suchte. Er war voller Haß. Brita mußte ein Lächeln verbergen, als sie an die Einfalt des Jungen dachte. Am Abend der Hochzeitsfeierlichkeiten war er zu ihr gekommen und hatte sie wie ein bettelnder Hund angesehen. Er hatte geprahlt, aber er konnte seine Angst, daß sie ihn abweisen würde, nicht verbergen.
Zuerst war Brita wütend darüber gewesen, daß Rowan die Stirn gehabt hatte, ihr diesen Jungen zu schicken. Sie war doch keine rossige Stute, für die jeder Hengst gut genug war! Aber dann hatte sie sich Geralt genau angesehen und das Verlangen in seinen Augen bemerkt. Da kam ihr der Gedanke, daß sie vielleicht Informationen von ihm bekommen könnte.
Sie hatte ihn glauben lassen, daß er sie verführte. Er war ein feuriger, aber unerfahrener Liebhaber, und später fand Brita heraus, daß er mehr einer Mutter als einer Frau bedurfte. Geralt schüttete ihr sein Herz aus, während sie ihn liebkoste und beruhigende Laute ausstieß. Er hatte ihr von seinem Haß, den er Rowan gegenüber hegte, berichtet, weil Thal ihm Rowan immer als leuchtendes Beispiel Vorbehalten hatte.
»Dabei hat er ihn gar nicht gekannt! « hatte Geralt gerufen. »Er hat mich mit einem Jungen verglichen, den er nie gesehen hat!
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