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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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dich.
    Ich hätte dich gar nicht zum Turm mitnehmen dürfen.«
    Wenn die Bewohner des Turms auch nur halb so gefährlich sind wie du behauptest..., dachte Judith. Was würde geschehen, 471

    wenn sie wüßten, wie viele dort gehütete Geheimnisse ich kenne?
    »Versprich mir, daß du dieses Thema nicht noch einmal an-schneidest...«, fuhr Godolphin fort.
    »Ich möchte Yzordderrex sehen, Oscar.«
    »Versprich es mir. Es wird nie wieder der Turm erwähnt, weder in diesem Haus noch außerhalb davon. Versprich es mir, Judith.«
    »Na schön. Ich rede nie wieder über den Turm.«
    »Weder in diesem Haus...«
    »...noch außerhalb davon. Oscar?«
    »Ja, Schatz?«
    »Ich möchte trotzdem Yzordderrex sehen.«
    2
    Am Morgen nach diesem Gespräch fuhr Judith nach Highgate.
    Wieder regnete es, und sie mußte die U-Bahn benutzen, da sie kein freies Taxi fand. Das erwies sich als Fehler. Es hatte ihr nie gefallen, mit der U-Bahn zu fahren - dadurch erwachte ihre latente Klaustrophobie -, und unterwegs fiel ihr ein: Zwei der Ermordeten waren in diesen Tunneln gestorben. Einen hatte man in Piccadilly Station vor den Zug gestoßen, und der andere wurde irgendwo entlang der Jubilee Line erstochen. Nein, die U-Bahn bot keine Sicherheit für jemanden, der auch nur etwas von den verborgenen Wundern der Domänen ahnte. An der Archway Station kehrte Jude nach oben zurück und atmete erleichtert auf. Es regnete nicht mehr, als sie den Weg nach Highgate Hill zu Fuß fortsetzte. Dort fiel es ihr nicht schwer, den Turm zu finden, obgleich er sich hinter einigen Bäumen erhob, die ein dichtes Laubgewand trugen - und obwohl er aufgrund seiner banalen Struktur eigentlich keine Aufmerksamkeit weckte.
    Oscars unheilvoll klingende Warnung stand in einem sonderbaren Kontrast zu dem Gebäude, das durchaus nicht 472

    ehrfurchtgebietend wirkte. Vielleicht lag es an den Umständen: Der warme Sonnenschein des Frühlings veranlaßte Judith, ihre Jacke auszuziehen, und im hohen Gras zwitscherten Spatzen, stritten sich um Würmer, die der Regen aus dem Boden getrieben hatte. Sie sah zu den Fenstern empor, hielt jedoch vergeblich nach Anzeichen von Bewohnern Ausschau. Nach einer Weile ging sie weiter, mied dabei den vorderen Eingang mit der auf die Treppe gerichteten Überwachungskamera und schritt an der Seite des Turms entlang, ohne irgendwelchen Barrieren zu begegnen. Der Eigentümer dieses Bauwerks vertrat offenbar den Standpunkt, daß ein unscheinbares Erscheinungsbild mehr Schutz bot als Mauern und Stacheldraht. Das Prinzip war ganz einfach: Je weniger man unternahm, um Neugierige von diesem Anwesen fernzuhalten, um so weniger wurden angelockt. Hinter dem Gebäude gab es kaum etwas zu sehen. Vor den meisten Fenstern waren die Rolläden heruntergelassen, und die wenigen Ausnahmen gewährten nur einen Blick in leere Zimmer. Judith wanderte um den Turm herum und suchte nach einem zweiten Eingang, der offenbar nicht existierte.
    Als sie zur Vorderfront zurückkehrte, dachte sie an die Tunnels und Räume unter ihren Füßen, an die zahllosen Bücher in der Finsternis, an die gefangene Seele in noch schwärzerer Dunkelheit. Jude hoffte, in Gedanken einen Ort aufsuchen zu können, der ihrem Körper verwehrt blieb, doch es gelang ihr nicht, den Geist vom Leib zu trennen. Diesmal erwies sich die physische Welt als unerbittlich, verharrte um sie herum in massiver Festigkeit. Enttäuscht ging sie noch einmal an den Wänden des Turms entlang, ohne daß er ihr mehr zeigte als vorher, und schließlich gab sie auf. Vielleicht sollte ich am Abend oder des Nachts hierherkommen, überlegte Judith. Wenn meine Sinne nicht so sehr an die Realität gebunden sind. Sie erwog auch eine neuerliche Reise mit Hilfe des blauen Auges.
    Allerdings... Diese Möglichkeit verursachte nervöses Prickeln.
    473

    Sie wußte nicht, auf welche Weise das seltsame Statuenfragment ihre Seele in die Lage versetzte, auf Reisen zu gehen; außerdem fürchtete Jude, daß der Stein Macht über sie bekam, wenn sie ihn häufiger benutzte. Das durfte nicht geschehen - sie mußte unbedingt sie selbst bleiben.
    Judith streifte ihre Jacke über und wandte sich vom Turm ab.
    Es rollten nur wenige Autos über die Hornsey Lane, was darauf hindeutete, daß in Hill noch immer die Straßen verstopft waren
    - ein Umstand, der diesen Bereich der Stadt vor dem Verkehr schützte. Eine angenehme Stille herrschte - bis Jude Schritte hinter sich hörte. Wenige Sekunden später erklang eine Stimme:
    »Wer sind

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