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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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aus meinem Kopf zog und durch neue ersetzte. Aber sie ging 481

    nicht behutsam genug vor. Hinter meiner Stirn zerriß etwas.
    Ich erlitt einen Schlaganfall im Keller, und man fand mich erst nach drei Tagen.«
    »Wie schrecklich...«
    »Mein Leid bedeutet nichts, wenn man es mit Celestines Agonie vergleicht. Roxborough - oder einer seiner Spione -
    fand sie einst in London, und er wußte, daß sich enorme Macht in ihr verbarg. Vielleicht wußte er es sogar besser als sie, denn in dem Bekenntnis heißt es, daß sie sich selbst fremd war. Aber sie hatte etwas gesehen, das kein Mensch vor ihr sah. Man brachte sie aus der Fünften Domäne nach Imagica, zu Hapexamendios.«
    »Warum?« fragte Judith.
    »Es wird noch erstaunlicher. Als Roxborough mit Celestine sprach - als er sie verhörte -, stellte sich folgendes heraus: Sie kehrte schwanger in die Fünfte zurück.«
    »Sie trug das Kind Gottes in ihrem Leib?«
    »Zumindest gab sie diese Auskunft.«
    »Vielleicht erfand sie alles, in der Hoffnung, besser behandelt zu werden.«
    »Dazu bestand kein Anlaß«, meinte Clara. »Ich nehme an, daß Roxborough sie geliebt hat, auf seine eigene Art und Weise. In dem Geständnis heißt es: ›Ich fühle mich wie mein Freund Godolphin. Das Auge einer Frau hat mich gebrochen.‹«
    Eine seltsame Formulierung, fuhr es Judith durch den Sinn.
    Sie dachte an die Statue, an den Blick des blauen Auges.
    »Nun, Godolphin starb nach irgendeiner Affäre, und es hieß, er sei von der entsprechenden Frau in den Tod getrieben worden«, fuhr Clara Leash fort. »Die Männer waren natürlich immer unschuldig und Opfer feministischer Verschwörungen.
    Vielleicht glaubte Roxborough sogar, Celestine aus Liebe einzumauern, um sie auf diese Weise für immer zu behalten.«
    »Was ist mit dem Kind geschehen?«
    »Möglicherweise kann sie uns diese Frage beantworten«, 482

    erwiderte Clara.
    »Dann müssen wir sie befreien.«
    »Ja.«
    »Haben Sie irgendeine Ahnung, wie wir dabei vorgehen könnten?«
    »Noch nicht. Ich war der Verzweiflung nahe - bis Sie erschienen. Gemeinsam gelingt es uns bestimmt, Celestine zu retten.«
    Es wurde spät, und Judith wollte vermeiden, daß jemand -
    Oscar oder Dowd - ihre Abwesenheit bemerkte. Sie erörterten Pläne, die jedoch ohne konkrete Details blieben. Die Situation erforderte, daß sie sich noch einmal den Turm ansahen, diesmal im Schutz der Dunkelheit.
    »Heute abend«, schlug Clara vor.
    »Nein, das ist zu früh. Geben Sie mir einen Tag, um einen Vorwand zu finden, den Abend außer Haus zu verbringen.«
    »Wer ist der Wachhund?«
    »Nur ein Mann.«
    »Mißtrauisch?«
    »Manchmal«, sagte Judith.
    »Nun, Celestine hat lange auf ihre Befreiung gewartet.
    Vierundzwanzig Stunden mehr oder weniger machen sicher kaum einen Unterschied für sie. Aber bitte: Lassen Sie sich nicht noch mehr Zeit. Es geht mir schlecht.«
    Jude griff nach Claras Hand - der erste körperliche Kontakt zwischen den beiden, seit die kalten Finger der Frau Judith an der Wange berührt hatten. »Sie werden nicht sterben.«
    »O doch. Und es spielt keine große Rolle für mich. Doch bevor ich die Augen für immer schließe, möchte ich Celestines Gesicht sehen.«
    »Ihr Wunsch geht in Erfüllung, das versichere ich Ihnen«, entgegnete Judith. »Vielleicht schon morgen abend.«
    483

    3
    Judith glaubte nicht, daß Claras Charakterisierung von Männern auch auf Oscar zutrafen. Er war kein Vernichter von Göttinnen, weder er selbst noch ein Beauftragter von ihm. Bei Dowd lag der Fall ganz anders. Er gab sich höflich und kultiviert, wirkte manchmal sogar zimperlich brav, aber Jude dachte daran, mit welcher Gleichgültigkeit er die Leichen der Voider verbrannt und sich am Feuer die Hände gewärmt hatte, als verzehrten die Flammen Äste und Zweige, keine Knochen.
    Unglücklicherweise war nicht etwa Oscar zu Hause, als sie heimkehrte, sondern der junge Mann mit dem perfekt-banalen Gesicht. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als seine Fragen zu beantworten - um zu vermeiden, mit ihrem Schweigen neuerlichen Argwohn zu wecken. Als sich Dowd danach erkundigte, wie sie den Tag verbracht hatte, erwähnte sie einen Spaziergang am Fluß. Anschließend fragte er, ob die U-Bahn voll gewesen sei. Judith hatte ihn noch gar nicht darauf hingewiesen, jenes Transportmittel benutzt zu haben, und sie antwortete mit einem knappen Ja. »Das nächste Mal sollten Sie ein Taxi nehmen«, sagte er. »Oder sich von mir fahren lassen; Mr. Godolphin möchte bestimmt, daß Sie

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