Imagica
würde N'ashap erfahren, daß sie Visionen hat, wie ihre Mutter.«
»Und das wäre...«
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»...eine Katastrophe! Es würde meine berufliche Laufbahn ruinieren. Ich hätte Huzzah nicht hierherbringen dürfen.«
Aping sah Gentle an. »Ich sage Ihnen dies, weil wir beide Künstler sind, und Künstler sollten sich wie Brüder vertrauen, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte Zacharias. Er bemerkte, wie sehr die großen Hände seines Gesprächspartners zitterten - der Vater schien kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen. »Möchten Sie, daß ich mit Ihrer Tochter rede?«
»Mehr als das...«
»Bitte seien Sie ganz offen.«
»Ich möchte, daß Sie Huzzah mitnehmen, wenn Sie und der Mystif aufbrechen. Reisen Sie mit ihr nach Yzordderrex.«
»Wie kommen Sie darauf, daß Yzordderrex unser Ziel ist?«
fragte Gentle. »Oder daß wir irgendwohin unterwegs sind?«
»Ich habe meine Spione, ebenso wie N'ashap. Ihre Pläne sind besser bekannt, als Sie glauben. Nehmen Sie meine Tochter mit, Mr. Zacharias. Die Familie ihrer Mutter ist bestimmt bereit, sich um sie zu kümmern.«
»Ein Kind bei einer so weiten Reise mitzunehmen... Das ist eine große Verantwortung.«
Aping schürzte die Lippen. »Wenn Sie dazu bereit sind, so könnte ich es Ihnen erleichtern, die Insel zu verlassen.«
»Und wenn Huzzah hierbleiben möchte?« fragte Gentle.
»Überreden Sie meine Tochter, Sie zu begleiten«, sagte der Vater schlicht. Er glaubte offenbar, daß es zu Zacharias'
Spezialitäten gehörte, Mädchen zu überreden.
Die Natur hatte Huzzah Aping drei grausame Streiche gespielt. Erstens: Sie gab dem Mädchen eine Macht, die unter der Herrschaft des Autokraten verboten war. Zweitens: Sie gab ihm einen Vater, für den die militärische Karriere an erster Stelle kam, obgleich er behauptete, seine Tochter über alles zu lieben. Und drittens: Sie gab Huzzah ein Gesicht, das nur ihr Vater als schön bezeichnen konnte. Etwa neun oder zehn Jahre 495
alt, war sie dünn und in sich gekehrt. Die Fransen ihres schlecht geschnittenen schwarzen Haars säumten ein schmales Gesicht mit einem kleinen, dünnlippigen Mund. Wenn jene Lippen nach mehrmaligen Aufforderungen zu sprechen wagten, so erklang eine leise, hoffnungslos klingende Stimme.
Huzzahs Züge verrieten erst Interesse, als Aping den Besucher vorstellte: der Mann, der ins Meer gestürzt war und überlebt hatte.
»Sie sind in der Wiege gewesen?« fragte das Mädchen.
»Ja«, sagte Gentle und näherte sich dem Bett, auf dem Huzzah saß: die Beine angezogen, ihre Arme um die Knie geschlungen.
»Haben Sie die Herrin der Wiege gesehen?«
»Wen?« Aping wollte seine Tochter ermahnen, doch Zacharias brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen. »Wen meinst du?«
»Die Herrin«, sagte Huzzah. »Sie lebt im Meer. Ich träume von ihr, und manchmal höre ich sie, aber bisher habe ich sie noch nie gesehen. Das möchte ich gern.«
»Hat sie einen Namen?« fragte Gentle.
»Sie heißt Tishalulle«, antwortete das Mädchen sofort und ließ das Wort auf der Zunge zergehen. »So flüsterten die Wellen bei ihrer Geburt«, erklärte es. »Tishalulle.«
»Ein hübscher Name.«
»Ja«, sagte Apings Tochter. »Besser als Huzzah.«
»Huzzah ist ebenfalls ein hübscher Name«, versicherte Gentle. »In meiner Heimat verursachen glückliche Leute Geräusche, die sich wie ›Huzzah‹ anhören.«
Die kleine Prophetin sah ihn so verblüfft an, als sei die Vorstellung von Glück völlig neu für sie, was sich Zacharias durchaus vorstellen konnte. Als er Aping nun in der Gegenwart seiner Tochter sah, verstand er ihn etwas besser. Er fürchtete sich vor dem Mädchen. Huzzahs illegale Fähigkeiten stellten nicht nur eine Gefahr für seine berufliche Zukunft dar - sie 496
erinnerten ihn auch an eine Macht, die ihm fremd blieb. Die Besessenheit in bezug auf das Motiv seiner Malerei, der Drang, immer wieder das zarte Gesicht des Mädchens zu malen, basierten tatsächlich auf väterlicher Liebe. Aber darin fand auch eine Art Exorzismus Ausdruck. Auch für Huzzah ergaben sich keine Vorteile durch ihr besonderes Talent: Es zwang sie, in diesem Zimmer zu bleiben, erfüllte sie mit einer seltsamen Sehnsucht. Sie war ein Opfer ihrer eigenen Einzigartigkeit.
Gentle versuchte, ihr mehr Informationen über die Frau namens Tishalulle zu entlocken, aber entweder wußte das Mädchen kaum etwas über sie, oder es wollte in der Gegenwart des Vaters nicht darüber sprechen. Vermutlich war letzteres der Fall. Als Gentle
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