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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Gentle und zog das Mädchen von dem Sergeant fort.
    Huzzah zögerte nicht, sich von ihrem Vater abzuwenden, doch er lehnte es ab, sie einfach so aufzugeben. Er drehte sich um, streckte die Hand nach dem Arm seiner Tochter aus... da bohrte sich eine Kugel dicht vor ihm ins ›Eis‹. Aping winkte hastig und holte Luft, doch er kam nicht mehr dazu, erneut zu rufen. Zwei weitere Geschosse pfiffen heran und trafen Bein und Brust des Mannes. Huzzah schrie, riß sich von Gentle los und sank neben ihrem Vater auf die Knie.
    Apings Dummheit und sein Tod kosteten wertvolle Sekunden, die über Hoffnung auf erfolgreiche Flucht und einem katastrophalen Fehlschlag ihrer Bemühungen entschieden. Etwa zwanzig Wächter näherten sich, und die Entfernung war jetzt so gering geworden, daß selbst der schlechteste Schütze unter ihnen das Ziel kaum mehr verfehlen konnte. Das galt auch für N'ashap, der an der Spitze des Trupps torkelte.
    »Und nun?« fragte Pie.
    »Wir müssen kämpfen«, sagte Gentle. »Uns bleibt keine Wahl.«
    515

    Als er Vorbereitungen traf, Pneumas einzusetzen, veränderte sichetwas. N'ashap, so erkannte Zacharias nun, taumelte nicht nur aufgrund des Alkohols in seinem Blut. Zwar schienen die Sonnen dieser Domäne über der anderen Hemisphäre, und allein die Dunkelheit der Nacht wölbte sich von einem Horizont zum anderen, aber dennoch spürte Gentle ein Zittern im erstarrten Meer, das ihn an ein schreckliches Erlebnis erinnerte. Huzzah fühlte es ebenfalls, hob den Kopf und schluchzte nicht mehr.
    »Die Herrin...«, brachte sie leise hervor.
    »Was ist mit ihr?« fragte Zacharias.
    »Sie ist in der Nähe.«
    Gentle griff nach Huzzahs Hand, half ihr auf und folgte ihrem Beispiel, als sie auf den Boden starrte. Er entsann sich an die Verflüssigung des Meeres, und sein Herz pochte schneller.
    »Kannst du sie aufhalten?« fragte er das Mädchen.
    »Sie hat es nicht auf uns abgesehen«, antwortete Huzzah. Ihr Blick wanderte vom nach wie vor festen Boden zu der von N'ashap angeführten Gruppe.
    »Lieber Himmel...«, flüsterte Gentle.
    Erschrockene Stimmen erklangen nun in dem Trupp. Das Licht von Taschenlampen tanzte hin und her, als die Männer in Panik gerieten. N'ashap versuchte vergeblich, die Disziplin seiner Soldaten wiederherzustellen. Gentle ahnte, was nun geschah. Zwar blieben Einzelheiten in der Dunkelheit verborgen, aber seine Fantasie füllte die Lücken. Unter den Füßen der Soldaten wurde der Boden immer weicher, und silbriges Wasser blubberte empor. Ein Wächter schoß in die Luft, als das ›Eis‹ unter ihm nachgab. Zwei oder drei andere wollten zur Insel zurückkehren, und dadurch ereilte sie ihr Schicksal um so schneller. Sie schienen einfach zu verschwinden, von einem Augenblick zum anderen, nur zwei Säulen aus silberner Gischt sprühten dort, wo sie eben noch gestanden hatten. N'ashap bemühte sich nach wie vor, die 516

    Gruppe zusammenzuhalten, aber die Männer hörten nicht auf ihn. Als er sich der Erkenntnis stellte, daß ihm niemand mehr gehorchte, hob er die Waffe und schoß auf Gentle, Pie und das Mädchen. Doch nur durch Zufall wäre es ihm möglich gewesen, sein Ziel zu treffen: Der Boden bebte unter ihm, und das Licht der Taschenlampen war nicht mehr auf Zacharias und seine Begleiter gerichtet.
    »Wir sollten laufen und uns möglichst weit von diesem Ort entfernen«, sagte Gentle.
    Huzzah schüttelte den Kopf. »Es wird uns kein Leid geschehen, wenn wir uns nicht fürchten.«
    Gentle fühlte sich versucht, darauf hinzuweisen, daß eine gehörige Portion Furcht in ihm prickelte, aber er schwieg. Und blieb stehen, obgleich die Ereignisse folgenden Schluß zuließen: Die Göttin hielt sich nicht damit auf, die Bösen von den Fehlgeleiteten zu trennen, die Unverbesserlichen von den Reuigen. Innerhalb kurzer Zeit schmolz N'ashaps Gruppe auf vier Personen zusammen - die anderen Wächter waren bereits den wie Quecksilber schimmernden Fluten zum Opfer gefallen oder versuchten noch, sich in Sicherheit zu bringen. Gentle sah einen Mann, der aus dem Wasser kroch und vielleicht glaubte, dem Tod entronnen zu sein; das ›Eis‹ unter ihm verflüssigte sich so schnell, daß er unterging und nicht einmal Zeit genug hatte, einen Schrei auszustoßen. Ein anderer versank mit lauten Flüchen in der Wiege, dabei immer wieder seine Waffe abfeuernd.
    Von den mit Taschenlampen ausgerüsteten Wächtern war niemand mehr am Leben. Das einzige Licht kam nun von den Klippen, wo andere Soldaten - niemand von

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