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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Halbdunkel alle gleich aussahen. Mehrmals mußten sie sich in kleinen Nischen verstecken, als sie Schritte in der Nähe hörten. Huzzah schien sich der Gefahr ebenso bewußt zu sein wie Gentle, und zweimal bewahrte sie ihn und sich selbst vor der Entdeckung durch Wächter.
    Als sie die letzte Treppe erklommen - nur noch wenige Meter trennten sie vom Draußen -, wich die Stille hinter ihnen jähem Lärm. Hastig wichen sie in die Schatten zurück, und Gentle befürchtete zunächst, daß Huzzah und er der Grund für den Aufruhr wären. N'ashaps Stimme erklang im Korridor, begleitet von einem lauten Pochen. Zacharias dachte an Pie, ignorierte das Mahnen der Vernunft und ließ sich allein vom Instinkt leiten. Er lief in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, wandte aber nach einigen Schritten den Kopf, um Huzzah zu bedeuten, an der Treppe auf ihn zu warten. Doch sie folgte ihm bereits. Den nächsten Flur kannte er: Zwanzig Meter weiter vorn sah er die Tür der Zelle, in der er Pie zurückgelassen hatte. Und von dort kam N'ashaps Stimme, ein heiseres Brüllen, aus dem Gentle Vorwürfe und Flüche heraushörte. Wächter eilten herbei, und Zacharias holte tief Luft; innerlich bereitete er sich auf die unvermeidliche Konfrontation vor.
    »Bleib hier«, wies er Huzzah an und stürmte zur offenen Tür.
    Drei Uniformierte, zwei von ihnen Oethacs, kamen aus der anderen Richtung, doch nur einer achtete auf Gentle. Der Mann rief einen Befehl, den Zacharias nicht verstand - N'ashap schrie viel zu laut -, aber sicherheitshalber hob er die Hände, um zu 508

    vermeiden, daß der Wächter auf ihn schoß. Gleichzeitig wurde er langsamer, lief nicht mehr, sondern ging nur noch, wodurch die Soldaten den Raum vor ihm erreichten. Ein kurzer Wortwechsel mit N'ashap schloß sich an - Zeit genug für Gentle, um die Distanz zur Tür bis auf fünf Schritte zu verkürzen. Doch bevor er sich ihr noch weiter nähern konnte, fauchte der dritte Wächter etwas und hob seine Waffe. Es handelte sich um einen unmißverständlichen Befehl: Zacharias sollte stehenbleiben.
    Er verharrte, und nur wenige Sekunden später kam N'ashap aus der Zelle, die eine Hand ins lockige Haar des Mystif gegraben, die andere ums Heft eines stählernen Schwerts geschlossen, dessen Spitze Pies Bauch berührte. Alkohol ließ die Narben am Kopf des Institutsleiters glühen, und die weiße, fast wächserne Haut bildete einen eigentümlichen Kontrast dazu. Er torkelte, als er in der Tür stand, und durch seinen gestörten Gleichgewichtssinn wurde er noch gefährlicher. In New York hatte der Mystif bewiesen, daß er Verletzungen überleben konnte, die für einen Menschen tödlich gewesen wären. Aber N'ashap schien bereit zu sein, Pies Leib wie den eines Fisches aufzuschlitzen, und eine derartige Wunde mußte zum Tod führen. Der Captain schielte zu Gentle hinüber und versuchte, ihn in den Fokus seines Blicks zu rücken.
    »Der Mystif hat plötzlich die Treue entdeckt«, schnaufte er.
    »Wieso? Erst möchte er zu mir, und dann läßt er mich nicht mehr an sich heran. Vielleicht muß er vorher eine Genehmigung einholen, wie? Geben Sie ihm die Erlaubnis.«
    N'ashap drückte das Schwert noch etwas fester an Pies Bauch.
    »Na los. Sagen Sie ihm, daß er nett zu mir sein soll, wenn ihm etwas an seinem Leben liegt.«
    Gentle ließ die Hände ganz langsam sinken und erweckte dabei den Anschein, mit einer Geste an die Vernunft des Mystifs appellieren zu wollen. »Ich glauben, wir müssen uns fügen«, sagte er. Er musterte Pie, sah dann das Schwert an und 509

    überlegte. Wie viele Sekundenbruchteile benötigte ein Pneuma, um N'ashaps Kopf zu zerfetzen? Blieb dem Captain Zeit genug, mit dem Schwert zuzustoßen? Hinzu kam: Die Gefahr beschränkte sich nicht nur auf ihn. Drei bewaffnete Wächter waren bereits zugegen, und praktisch jeden Augenblick konnten weitere eintreffen.
    »Du solltest ihm gehorchen«, fuhr Gentle fort. Im Anschluß an diese Worte holte er tief Luft.
    N'ashap beobachtete ihn dabei und sah auch, wie der Mensch die Hand zum Mund hob. Selbst in seinem betrunkenen Zustand begriff er, was sich nun anbahnte - er rief den Männern im Gang eine Warnung zu und warf sich selbst nicht nur aus ihrer Schußlinie, sondern auch aus der Gentles.
    Zacharias verlor sein primäres Ziel, aber er gab das Pneuma trotzdem frei. Es raste den Uniformierten entgegen, deren Finger sich um die Abzüge krümmten, und traf den ersten von ihnen mit solcher Wucht, daß sein Brustkasten platzte

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