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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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der turbulenten Tage nach dem fehlgeschlagenen Rekonziliationsversuch Gesellschaft geleistet hatte. Jetzt fehlte es an Leidenschaft, und kaum jemand verstand in vollem Ausmaß, warum damals von Roxborough die Gruppe ›Tabula Rasa‹ beziehungsweise ›Reiner Tisch‹ gegründet worden war.
    Trotzdem trafen sich die Elf, aus zwei Gründen. Erstens: Jeder von ihnen hatte schon als Kind vom Vater - oder von der Mutter - erfahren, daß ihm eines Tages eine große Verantwortung zukommen würde, die aus einem alten Familiengeheimnis resultierte. Zweitens: Die Gruppe kümmerte sich um ihre Mitglieder, ließ niemanden im Stich. Roxborough war ein ebenso reicher wie vorausblickender Mann gewesen.
    Zu seinen Lebzeiten hatte er viel Grundbesitz erworben, und daraus ergab sich immer mehr Profit, als London wuchs.
    Ausschließlich die Gruppe wurde Nutznießer des Geldes, und zwar erhielt sie es durch so komplexe Kanäle, daß kein Verdacht entstehen konnte. Dutzende von Firmen und Tochtergesellschaften sorgten dafür, daß niemand in Erfahrung brachte, wer letztendlich über jenen Reichtum verfügte.
    Die Tabula Rasa gedieh auf eine besondere, ziellose Weise.
    Ihre Angehörigen versammelten sich, um über gehütete Geheimnisse zu sprechen, so wie es dem Willen des verstorbenen Roxborough entsprach, und gleichzeitig genossen sie den weiten Blick über die Stadt - ein Panorama, wie es nur Highgate Hill bieten konnte.
    Kuttner Dowd hatte den Turm schon mehrmals besucht, 73

    allerdings noch nie während einer Versammlung der Gruppe.
    Sein Herr Oscar Godolphin gehörte zu den elf Personen, die Roxboroughs Erbe verwalteten, doch niemand von ihnen teilte seine durch und durch scheinheilige Natur. Als Mitglied der Gruppe erwartete man von Godolphin, daß er für die Unterdrückung magischer Aktivitäten eintrat, aber er war auch der Herr (Besitzer, hätte er gesagt) eines Wesens, das man mit Magie beschworen hatte - und zwar kurz nach jener Tragödie, der die Gruppe ihre Existenz verdankte.
    Das Wesen hieß Dowd. Die Repräsentanten der Tabula Rasa kannten ihn, wußten jedoch nichts von seiner Herkunft.
    Andernfalls hätten sie ihm wohl kaum erlaubt, den heiligen Turm zu betreten - sie wären vielmehr dazu verpflichtet gewesen, ihn zu töten, ganz gleich, welche Folgen ein solches Unterfangen für ihre Körper und Seelen nach sich ziehen mochte. Das notwendige Wissen - oder eine Möglichkeit, es zu erlangen - stand ihnen zur Verfügung. Der Turm beherbergte eine wahrhaft einzigartige Bibliothek mit zahllosen Abbildungen, Grimoires, Enzyklopädien und Symposien, gesammelt von Roxborough und den Magiern aus der Fünften Domäne, die eine Rekonziliation versucht hatten. Einer jener Männer hieß Joshua Godolphin, Graf von Bellingham. Er und Roxborough überlebten das Chaos nach dem vor fast zweihundert Jahren gescheiterten Versuch der Zusammenführung, doch viele ihrer Freunde kamen dabei ums Leben. Angeblich zog sich Godolphin anschließend auf seinen Landsitz zurück, um ihn nie wieder zu verlassen. Roxborough hingegen... Er war immer sehr pragmatisch gewesen und nutzte die Tage nach dem Kataklysmus, um die vielen tausend okkulten Bücher der toten Kollegen im Keller seines Hauses zu verstecken, damit sie, wie er in einem Brief an den Graf betonte, ... nie wieder die Seelen ehrbarer Menschen mit un-christlichem Ehrgeiz beflecken. Von jetzt an müssen wir sicherstellen, daß sich nicht erneut die verdammende Kraft der 74

    Magie entfalten kann. Der Umstand, daß er die Bücher nur an einem sicheren Ort verstaute, anstatt sie zu verbrennen, verriet allerdings eine gewisse Doppelsinnigkeit. Roxborough hatte Entsetzliches erlebt, und sein Abscheu kannte keine Grenzen; aber tief in ihm verharrte die Faszination, die ihn, Godolphin und alle anderen zusammengeführt hatte.
    Unbehagen befiel Dowd, als er im schlichten Flur des Turms stand. Er wußte: Irgendwo in der Nähe befand sich die größte Sammlung magischer Schriften außerhalb des Vatikans - in denen unter anderem erklärt wurde, wie man Wesen seiner Art beschwor und beseitigte. Natürlich war Dowd keines dieser üblichen Phantome, so wie die meisten albernen und einfältigen Geschöpfe, die man aus dem In Ovo rief, dem Bereich zwischen der Fünften und den zusammengeführten Domänen, wo Dowd immerhin schon als Schauspieler das Publikum begeistert hatte. Angst und nicht etwa angeborene Dummheit zwang ihn, auf den menschlichen Ruf zu reagieren: Er hatte das Antlitz von Hapexamendios

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