Imagica
Geschlechts. Wenn eine Mutter oder liebevolle Schwester maßgeblich an der frühen Phase seines Lebens beteiligt gewesen wäre, so hätte er vielleicht eine Form der Huldigung gelernt, die nicht auf Sexuellem basierte. Zacharias hoffte nun, daß ihm die Heilige Mutter vergab, obgleich ihn Athanasius nach wie vor für einen Judas hielt. Dieser Gedanke spendete ihm Trost. Ein erbitterter Kampf erwartete ihn, und dabei brauchte er jeden Schutz, den er bekommen konnte; in diesem Zusammenhang erleichterte es ihn zu wissen, daß die Altare der Mutter Imagica auch in der Fünften standen, wo die Schlacht stattfinden würde.
Nach dem improvisierten Gottesdienst beauftragte Athanasius die Mitglieder der kleinen Gemeinde, in den Trümmern zu suchen. Er selbst blieb in der Mitte des Kreises stehen, neben einigen Leichen: Männer und Frauen, die es zwar bis hierher geschafft hatten, jedoch ihren Verletzungen erlegen waren.
»Kommen Sie, Maestro«, sagte der Priester. »Hier gibt es 802
etwas, das Sie sehen sollten.«
Gentle trat in den Kreis und rechnete damit, daß ihm Athanasius den Leichnam eines Kindes zeigte, oder die sterblichen Überreste einer Schönheit. Statt dessen fiel sein Blick auf ein Gesicht, das einem Mann gehörte, der alles andere als unschuldig war.
»Sie kennen ihn, nicht wahr?«
»Ja. Er hieß Estabrook.«
Charlies Augen waren geschlossen, ebenso der Mund -
versiegelt in der Sekunde des Todes. Gentle hielt vergeblich nach einer tödlichen Wunde Ausschau; vielleicht hatte schlicht und einfach Estabrooks Herz versagt.
»Nikaetomaas meinte, Sie hätten ihn hierhergebracht, weil sie ihn mit mir verwechselten.«
»Wir sahen einen Messias in ihm«, erwiderte Athanasius.
»Als sich unser Irrtum herausstellte, faßten wir uns auch weiterhin in Geduld und hofften auf ein Wunder. Doch wir bekamen...«
»Sie bekamen mich. Nun, Sie haben recht. Das Chaos begleitete mich tatsächlich bis zu diesem Ort. Der Grund dafür ist mir unbekannt, und ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie mir verzeihen. Aber ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich keineswegs Gefallen daran finde, ein Bote der Zerstörung zu sein. Es ist mein Bestreben, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.«
»Wie wollen Sie dabei vorgehen, Maestro?« fragte Athanasius. Tränen glänzten in seinem nicht bedeckten Auge, als er den Blick über die Leichen schweifen ließ. »Wie wollen Sie das hier wiedergutmachen? Können Sie die Toten ins Leben zurückholen, vielleicht mit dem Ding zwischen Ihren Beinen? Besteht der Trick darin? Bumsen Sie Leben in die Leichen?«
Gentle schnaufte voller Abscheu.
»Entspricht das nicht der Philosophie von Maestros?« fuhr 803
der Priester fort. »Leute wie Sie möchten nicht das Leid, nur den Ruhm. Sie legen Ihre Rute aufs Land, und schon trägt es Früchte. Das glauben Sie wenigstens. Aber so funktioniert's nicht. Das Land verlangt Ihr Blut. Sie müssen dafür opfern.
Und solange Sie sich dieser Erkenntnis verweigern, sterben andere für Sie. Glauben Sie mir: Ich würde mir hier und jetzt die eigene Kehle durchschneiden, wenn ich sicher sein könnte, diesen Leuten dadurch neues Leben zu schenken. Aber das Schicksal hat mir einen üblen Streich gespielt. Ich habe zwar den Willen, aber das falsche Blut. In Ihren Adern fließt das richtige. Warum? Ich weiß es nicht. Ich finde es ungerecht, muß mich jedoch damit abfinden.«
»Würde es Uma Umagammagi gefallen, mich bluten zu sehen?« fragte Gentle. »Oder Tishalulle? Oder Jokalaylau?
Fordern Ihre liebevollen Mütter so etwas von ihren Kindern?«
»Sie gehören nicht zu ihnen. Ich weiß nicht, zu wem oder was Sie gehören, aber Sie kamen nicht aus dem Schoß der Heiligen Mutter.«
»Ich habe einen Ursprung«, sagte Gentle und faßte diesen Gedanken zum erstenmal in Worte. »Ich komme irgend woher .
Absicht und Entschlossenheit wohnen in mir, und ich glaube, ich verdanke sie göttlicher Eingebung.«
»Graben Sie nicht zu tief, Maestro. Verzichten Sie darauf, alle Rätsel lösen zu wollen. Allein Ihre Unwissenheit gewährt uns Ihnen gegenüber etwas Schutz. Geben Sie den Ehrgeiz auf, bevor Sie herausfinden, wozu Sie wirklich fähig sind.«
»Ich kann nicht.«
»Oh, es ist ganz einfach«, meinte Athanasius. »Bringen Sie sich um, Maestro. Schenken Sie dem Land Ihr Blut. Einen größeren Dienst könnten Sie den Domänen nicht erweisen.«
Ein bitteres Echo erklang in diesen Worten, und Zacharias erinnerte sich an einen Brief, den er vor
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