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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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gesellte sich ein blühendes Land dem Rest von Imagica hinzu - ein England der üppigen Ernten, darüber ein singendes Firmament.
    Die Musik der Natur erklang, als Gentle die Zuflucht verließ und durchs Gras schritt, zum Rand des kleinen Waldes. Der Park weckte Erinnerungen, obwohl er vernachlässigt war und einem Dschungel ähnelte.
    »Dies ist Joshuas Anwesen, nicht wahr?« wandte er sich an Jude. »Wo geht's zum Haus?«
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    Seine Begleiterin deutete übers hohe, vom Sonnenschein vergoldete Gras. Das Dach des Gebäudes verschwand fast hinter Baumwipfeln und Schwärmen von Schmetterlingen.
    »Ich habe dich zum erstenmal in jenem Haus gesehen«, sagte Gentle. »Ich entsinne mich daran... Joshua rief nach dir und ge-brauchte einen Kosenamen, den du verabscheut hast. Wie lautete er? Pfirsichblüte oder so ähnlich. Und als ich dich erblickte...«
    Judith unterbrach seine romantischen Träumereien. »Du hast nicht mich gesehen, sondern Quaisoir.«
    »Was auch immer sie damals gewesen sein mag - jetzt bist du es.«
    »Das bezweifle ich. Viele Jahre sind vergangen, Gentle. Das Haus stellt kaum mehr dar als eine Ruine, und nur Godolphin ist noch übrig. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Ich möchte auch gar nicht, daß sie sich wiederholt. Es entspricht keineswegs meinem Wunsch, für jemanden ein Objekt zu sein.«
    Zacharias hörte die Warnung in diesen Worten und reagierte mit einer förmlich klingenden Absichtserklärung.
    »Wenn ich durch mein Verhalten irgend jemanden verletzt habe...«, begann er. »Dann möchte ich Abbitte leisten, den angerichteten Schaden wiedergutmachen. Aus welchen Gründen auch immer es geschah - aus Liebe, oder weil ich glaubte, als Maestro nicht die üblichen Regeln des Anstands beachten zu müssen... Ich bin hier, um die aufgerissenen Wunden zu schließen, sie zu heilen. Ich möchte die Rekonziliation, Jude. Zwischen uns. Zwischen den Domänen.
    Zwischen den Lebenden und Toten, wenn das möglich ist.«
    »Eine Menge Ehrgeiz«, kommentierte Judith.
    »Meiner Ansicht nach habe ich eine zweite Chance bekommen. Davon träumen die meisten Leute.«
    Gentles Offenheit besänftigte Jude. »Möchtest du zum Haus, um dort in Erinnerungen ans Damals zu schwelgen?« fragte 840

    sie.
    »Wenn du Wert darauflegst...«
    »Nein. Ich hatte mein eigenes Deja-vu-Erlebnis, als ich Charlie dazu überredete, mich hierherzubringen.« Gentle hatte ihr von seiner Begegnung mit Estabrook im Zeltlager der Mangler erzählt und auch seinen Tod erwähnt. Judith vergoß deshalb keine Tränen. »Ein schwieriger, verschrobener Mann«, fügte sie hinzu. »Vermutlich hat mein Unterbewußtsein geahnt, daß er ein Godolphin ist. Andernfalls hätte ich mich bestimmt nicht so lange den Launen eines Narren gebeugt.«
    »Ich glaube, zum Schluß hat er sich verändert«, sagte Gentle.
    »Vielleicht wäre er dir sympathischer gewesen.«
    »Auch du bist anders geworden«, meinte Judith, als sie zum Tor wanderten. »Man wird Fragen stellen, Gentle. Zum Beispiel: Wo sind Sie gewesen? Was haben Sie angestellt, Mr.
    Zacharias?«
    »Warum sollte überhaupt jemand von meiner Rückkehr erfahren? Ich habe den Leuten nie viel bedeutet, mit Ausnahme von Taylor. Und er ist tot.«
    »Auch Clem schätzt dich.«
    »Mag sein.«
    »Nun, es liegt bei dir«, sagte Judith. »Aber wer viele Feinde hat, braucht den einen oder anderen Freund.«
    »Mir ist es lieber, unsichtbar zu bleiben«, erwiderte Gentle.
    »Dann sieht mich niemand, ob Freund oder Feind.«
    Als die Mauer am Rand des Anwesens in Sicht geriet, wurde der Himmel von einem geradezu gespenstisch schnellen Wandel erfaßt. Die wenigen Wolkenfetzen am klaren Blau wuchsen zu einer dunklen Masse zusammen, aus der es erst nieselte und dann in Strömen regnete. Für die beiden Wanderer mochte es unangenehm sein, durchnäßt zu werden, aber der Schauer hatte auch unbestreitbare Vorteile, wusch yzordderrexianischen Staub von Haut und Kleidung. Sie kletterten durch eine Lücke zwischen den schiefen Brettern des 841

    Tors, schoben sich an wuchernden Kletterpflanzen vorbei und stapften über einen Weg, der jetzt aus knöcheltiefem Schlamm bestand. Sie eilten zum Dorf, und man hätte sie für zwei Touristen halten können (einer von ihnen recht seltsam gekleidet), die sich während eines langen Spaziergangs verirrt hatten.
    2
    Im Dorf suchten Gentle und Judith das Postamt auf. Zwar fehlte ihnen beiden Geld, mit dem sich hier in der Fünften etwas anfangen ließ, aber Jude überredete einen jungen

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