Imagica
Pie'oh'pah um und floh. Er sprang über die Mauer des Parks, ohne sich darum zu scheren, was ihn auf der anderen Seite erwartete -
viel wichtiger war es, Gentle zu entkommen.
Es hatte keinen Sinn, die Verfolgung fortzusetzen. Die Kälte verstärkte den Schmerz in Gentles Gliedmaßen, und dadurch fiel es ihm schon schwer genug, zu Judes Wohnung zurückzukehren, von der ihn nur zwei Blocks trennten.
Unterwegs durchnäßte der Schneeregen seine Kleidung, und als er schließlich die Eingangstür des Apartmenthauses erreichte, bot er keinen besonders attraktiven Anblick: Ihm klapperten die Zähne, und er blutete aus dem Mund; das Haar klebte an seinem Kopf. Jude leistete dem verlegenen Portier im Foyer Gesellschaft. Sie lief Gentle sofort entgegen und stellte zwei Fragen, bei denen sie sich auf das Wesentliche beschränkte. Bist du schwer verletzt? Nein. Gelang dem Mann 95
die Flucht? Ja.
»Komm mit nach oben«, sagte sie. »Deine Wunden müssen behandelt werden.«
3
Das Wiedersehen von Jude und Gentle hatte unter sehr dramatischen Umständen stattgefunden, und aus diesem Grund verzichteten sie auf Sentimentalität. Judith offenbarte den für sie typischen Pragmatismus, als sie sich um Gentle kümmerte.
Er lehnte eine Dusche ab, wusch sich aber das Gesicht und die schmutzigen, zerkratzten Hände. Dann zog er sich um und streifte Sachen von Marlin über, obwohl er größer und schlanker war. Jude fragte ihn, ob sie einen Arzt rufen solle. Er schüttelte den Kopf und meinte, es sei soweit alles in Ordnung mit ihm. Damit übertrieb er nicht: Trocken und sauber fühlte er sich viel besser, obgleich ein Teil des Schmerzes noch in ihm bohrte.
»Hast du die Polizei verständigt?« erkundigte er sich, als er in der Küchentür stand und beobachete, wie Judith Tee kochte.
»Nein. Sie kennt den Burschen schon vom ersten Zwischenfall her. Vielleicht bitte ich Marlin, später Anzeige zu erstatten.«
»Der Kerl hat es schon einmal versucht?« Jude nickte, und Gentle fügte hinzu: »Nun, ich schätze, von jetzt an wird er dich in Ruhe lassen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Er schien bereit zu sein, sich von einem Wagen überfahren zu lassen.«
»Ich fürchte, das macht ihm kaum etwas aus.« Sie erzählte von den Ereignissen vor dem Village und beendete ihre Schilderungen mit der rätselhaften Rekonvaleszenz des Killers.
»Er müßte eigentlich tot sein«, sagte Judith. »Sein Gesicht war eine blutige, zerfetzte Masse... Es erstaunte mich, daß er überhaupt aufstehen konnte. Milch und Zucker?«
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»Ein Schuß Scotch. Trinkt Marlin?«
»Er ist kein Connaisseur wie du.«
Gentle lachte. »Wie hast du mich beschrieben? Als Alkoholiker?«
»Nein. Um ganz ehrlich zu sein: Ich rede fast nie über dich.«
Judith wirkte nun ein wenig beschämt. »Ich meine, sicher habe ich dich Marlin gegenüber ab und zu erwähnt, aber... Ich weiß nicht... Du bist ein Geheimnis, dessentwegen ich mich schuldig fühle.«
Diese Worte erinnerten Gentle an seinen Auftraggeber.
»Hast du mit Estabrook gesprochen?« fragte er.
»Sollte ich das?«
»Er hat versucht, sich mit dir in Verbindung zu setzen.«
»Mir liegt nichts an einem Gespräch mit ihm.« Jude brachte eine Tasse Tee ins Wohnzimmer, holte eine Flasche Scotch und stellte sie ebenfalls auf den Tisch. »Bedien dich.«
»Du trinkst nichts?«
»Nur Tee, keinen Whisky. Es fällt mir auch so schon schwer genug, einen klaren Gedanken zu fassen.« Mit ihrer eigenen Tasse ging Judith zum Fenster hinüber. »Es gibt viel, das ich nicht verstehe. Zum Beispiel: Warum bist du überhaupt hier?«
»Ich will nicht unbedingt melodramatisch klingen, aber...
Bitte setz dich, bevor wir darüber reden.«
»Sag mir, was hier los ist«, erwiderte Jude. Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. »Seit wann beobachtest du mich?«
»Seit einigen Stunden.«
»Vor zwei Tagen habe ich dich bei Bloomingdales gesehen.«
»Ich kann's nicht gewesen sein. Bin erst seit heute morgen in New York.«
Verwirrt furchte Judith die Stirn. »Was weißt du über den Mann, der mir nach dem Leben trachtet?«
»Angeblich heißt er Pie'oh'pah.«
»Sein Name ist mir völlig gleich, verdammt!« entfuhr es Jude. Sie verlor nun einen Teil ihrer Ruhe. »Was hat es mit ihm 97
auf sich? Warum will er mich umbringen?«
»Er wird dafür bezahlt.«
»Was?«
»Er bekommt Geld. Von Estabrook.«
Judith schauderte, und Tee schwappte über den Rand ihrer Tasse.
»Er will meinen Tod?« brachte sie hervor. »Er hat einen Killer
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