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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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festhielt -, schüttelte den Kopf. Blut rann ihm aus einigen Platzwunden über den Brauen: Erst vor wenigen Minuten hatte er den Schädel immer wieder an eine Mauer gestoßen, um die vielen Stimmen hinter der Stirn zum Schweigen zu bringen.
    Zwischen den Schläfen existierten zu viele Namen und Gesichter, schufen ein unentwirrbares Chaos. Es gab nur eine Möglichkeit für ihn, auf die Frage zu antworten - indem er den Kopf schüttelte. Wer war er? Er wußte es nicht.
    »Mann, hau bloß ab«, knurrte der Bärtige.
    In der einen Hand hielt er eine Flasche mit billigem Wein, und in seinem Atem vermischte sich der Alkoholgeruch mit einem fauligen Gestank. Er preßte sein Opfer an die Beton-wand der Unterführung.
    »Du kannst dir nicht einfach so einen Schlafplatz aussuchen.
    Wenn du dich hinlegen willst, so mußt du mich um Erlaubnis bitten. Ich bestimme, wer hier schlafen darf, stimmt's?«
    Aus blutunterlaufenen Augen sah er zu den anderen, die ihre Betten aus Lumpen und Zeitungen verlassen hatten, um ihrem Anführer zuzusehen. Sie rechneten damit, daß Blut floß. Es ging immer rund, wenn Tolland zornig wurde, und dieser Bursche schien ihn weitaus mehr zu nerven als andere Obdachlose, die schon versucht hatten, sich ohne seine ausdrückliche Genehmigung zu ihnen zu legen.
    »Stimmt's?« rief er. »Sag's ihm, Ire! Es stimmt doch, oder?«
    Der Angesprochene brummte etwas Unverständliches. Die 949

    Frau neben ihm - ihr Haar war so sehr gebleicht, daß es fast weiß wirkte, doch an den Wurzeln zeigte sich Schwärze - trat bis auf Schlag-Reichweite an Tolland heran, was nur wenige wagten.
    »Ja, du hast recht, Tolly. Es stimmt.« Sie musterte das Opfer, und ihr Gesicht zeigte kein Mitgefühl. »Hältst du ihn für einen Juden? Hat eine typische Judennase.«
    Tolland schüttete Wein in sich hinein.
    »He, bist du'n blöder Jude?« fragte er.
    Jemand schlug vor, ihm die Hose runterzuziehen und nachzusehen. Die Frau - sie hatte viele verschiedene Namen, doch Tolland nannte sie Carol, wenn er sie bumste - streckte die Hand nach dem Gürtel des Fremden aus. Tolland ballte aber die Faust, und daraufhin wich sie hastig zurück.
    »Laß deine verdammten Pfoten von ihm«, brummte der Anführer. »Er wird's uns sagen. Heraus damit, Kumpel! Bist du'n blöder Jude oder nicht?«
    Er ließ den Hals des Fremden los und griff statt dessen nach dem Jackenaufschlag.
    »Ich warte auf eine Antwort«, zischte er.
    Die Lippen des Opfers zitterten, formten schließlich ein Wort:
    »Gentle...«
    »Gentle?« wiederholte Tolland. »Was soll das denn sein?
    Etwa 'n Name? Du heißt Gentle? Sanft? Nun, es ist mir völlig gleich, ob man dich den Sanften oder was weiß ich wie nennt!
    Hier hast du nichts zu suchen. Verschwinde.«
    Der Fremde nickte und versuchte, sich aus Tollands Griff zu befreien, aber der Anführer war noch nicht mit ihm fertig.
    Einmal mehr drückte er den Mann an die Wand und preßte ihm dadurch die Luft aus den Lungen.
    »Ire? Nimm die Flasche.«
    Der Ire kam der Aufforderung sofort nach, nahm Tolland die Flasche aus der Hand und trat zurück.
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    »Bring ihn nicht um«, sagte die Frau.
    »Was kümmert's dich? Verdammt!« Der Anführer spuckte aus, bohrte dem Fremden viermal die Faust in die Magengrube und rammte ihm anschließend das Knie zwischen die Beine.
    Das Opfer war noch immer an die Wand gepreßt und konnte sich kaum wehren, aber es nutzte nicht einmal seine wenigen Möglichkeiten, sondern blieb völlig passiv. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Durch diesen Schleier starrte der Mann hindurch; er wirkte verblüfft und stöhnte leise.
    »Der Typ ist plemplem, Tolly«, sagte der Ire. »Sieh ihn dir bloß an. Vollkommen Mattscheibe.«
    Tolland schenkte dem Iren keine Beachtung und schlug auch weiterhin zu. Die eine Hand des Anführers packte den Sanften wieder am Hals, während die andere ihm weitere Hiebe versetzte. Der Mann ächzte leise, aber sein Gesicht blieb gespenstisch leer.
    »Hast du nicht gehört, Tolly?« fragte der Ire. »Bei dem Kerl sitzt mehr als nur eine Schraube locker. Er spürt überhaupt nichts.«
    »Halt die Klappe.«
    »Laß ihn in Ruhe...«
    »Er hat eine verdammte Abreibung verdient«, fauchte Tolland.
    Brutal zerrte er den Sanften von der Wand fort und drehte ihn um. Die übrigen Mitglieder der Gruppe wichen zurück und verschafften dem Oberhaupt ihrer Gemeinschaft dadurch mehr Platz. Tolland hatte den Iren zum Schweigen gebracht, und den anderen fehlte der Mut, irgendwelche Einwände

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