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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Foyer durchquerte und eine zweite Tür passierte, hinter der sich ein ihm bekannter Raum erstreckte. Zweimal in seinem Leben war er über diese alten Dielen hinweggegangen. Das erste Mal am Tag vor dem Rekonziliationsversuch: Er gab sich als der Maestro aus und genoß das perverse Vergnügen, den Gönnern des Rekonzilianten die Hände zu schütteln, bevor seine Macht sie alle zur Hölle schickte. Das zweite Mal in der Nacht nach der gescheiterten Rekonziliation, als heftige Unwetter tobten, von 1029

    Hadrian's Wall bis hin nach Land's End. Bei jener Gelegenheit begleitete ihn sein neuer Diener Chant, und er kam mit der Absicht, Lucius Cobbitt zu töten, den jungen Assistenten und unfreiwilligen Zeugen der Sabotage. Nach der erfolglosen Suche in Gamut Street hatte er sich dem Zorn des Sturms ausgesetzt - die Böen waren stark genug, um Bäume zu entwurzeln; auf dem Highgate Hill wurde ein Mann vom Blitz getroffen - und Roxboroughs Haus aufgesucht, nur um festzustellen, daß sich dort niemand aufhielt. Cobbitt blieb verschwunden. Vermutlich hatte der Maestro den Jungen aus der Sicherheit von Gamut Street vertrieben, und anschließend war er dem Unwetter erlegen, wie so viele andere.
    Jetzt sah Sartori ein leeres Zimmer, und er blieb darin stehen.
    Jene Lords, die dieses Haus gebaut hatten, und ihre Kinder, die ihm den Turm hinzufügten - alle tot. Eine willkommene Stille herrschte, und vielleicht bot sie später Gelegenheit zur Muße.
    Er ging am Kamin vorbei, stieg über die Treppe in den Keller und erreichte eine Bibliothek, von deren Existenz er erst jetzt erfuhr. Unter anderen Umständen wäre er vielleicht in Versuchung geraten, hier zu verweilen und sich einige der vielen Bücher anzusehen, in ihnen zu blättern und zu lesen.
    Doch die Macht, die er vor der Eingangstür des Gebäudes gespürt hatte, erwies sich hier als noch intensiver und lockte ihn an. Er setzte den Weg fort, wobei er mit jedem Schritt neugieriger wurde.
    Die Stimme der Frau hörte er, bevor er sie sah. Sie erklang an einem Ort, wo dichte Staubwolken einen nebelartigen Schleier formten. Dahinter zeigten sich die noch vagen Konturen von Chaos und Zerstörung: Bücher, Schriftrollen und Manuskripte hatten sich in Fetzen verwandelt oder lagen unter den Trümmern geborstener Regale. Jenseits des Schutthaufens gähnte ein Loch in einer dicken Ziegelsteinmauer, und die Stimme ertönte in der Kammer dahinter.
    »Bist du das, Sartori?«
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    »Ja«, erwiderte er.
    »Komm näher und zeig dich.«
    Er verharrte am Fuß des Hügels aus Steinen, Mörtelstaub, Papier und Holz.
    »Eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, daß sie dich findet«, sagte Celestine. »Und es überrascht mich, daß du gekommen bist.«
    »Du hast mich zu dir bestellt«, antwortete der Besucher.
    »Wie kann ich einem solchen Ruf nicht folgen?«
    »Hältst du dieses Treffen vielleicht für eine Art Verabredung oder Rendezvous?«
    Staub sorgte dafür, daß Celestines Stimme heiser klang, und außerdem hörte Sartori Bitterkeit darin. Es gefiel ihm. Frauen, in denen das Feuer des Zorns brannte, waren immer viel interessanter als ihre zufriedenen Schwestern.
    »Komm herein, Maestro. Damit ich dich auf deinen Irrtum hinweisen kann.«
    Er kletterte über den Haufen und spähte in die Dunkelheit.
    Der Kerker war kaum mehr als ein Loch, so erbärmlich wie die Verliese unter dem Palast von Yzordderrex, doch die Frau darin ließ sich kaum mit einer Anachoretin* vergleichen. Die lange Einsamkeit schien das Fleisch nicht geläutert zu haben: Es wirkte üppig, trotz der vielen Kratzer und Schrammen.
    Fadenartige Gebilde hinten am Leib umschmiegten ihn, krochen wie zärtliche Schlangen über Beine, Brüste und Bauch. Einige hafteten am Kopf, reichten bis zu den Lippen; andere ruhten glücklich zwischen den Schenkeln. Sartori fühlte einen sanften Blick auf sich ruhen und genoß ihn.
    »Nicht unattraktiv«, sagte Celestine.
    Er interpretierte dieses Kompliment als eine Aufforderung, sich ihr weiter zu nähern, doch die Frau ächzte leise, und daraufhin blieb er wieder stehen.
    »Was bedeutet der Schatten in dir?« fragte Celestine.

    * Anachoret: frühchristlicher Einsiedler; Anmerkung des Übersetzers.
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    »Er stellt nichts dar, vor dem man sich fürchten müßte«, antwortete er.
    Einige der Fäden teilten sich und glitten beiseite; andere Stränge - offenbar bestanden sie aus Fleisch - entfalteten sich hinter der Gestalt, tasteten zu den Wänden und zogen die Frau hoch.
    »Das höre

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