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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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anrichtest, Bruder?« fragte Gentle.
    »Bruder?« wiederholte Sartori. »Seit wann sind wir Brüder?«
    »Es gibt kein besseres Wort, um die Beziehung zwischen uns zu beschreiben.«
    »In Yzordderrex hast du versucht, mich umzubringen. Hat sich seitdem etwas geändert?«
    »Ja«, bestätigte Gentle. »Ich.«
    »Tatsächlich?«
    »Ich bin nun bereit, unsere... Verwandtschaft anzuerken-nen.«
    »Klingt interessant.«
    »Anders ausgedrückt: ich akzeptiere meine Verantwortung für alles, was ich war, bin oder sein werde. Dafür sollte ich deinem Oviaten danken.«
    »Freut mich, das zu hören«, sagte Sartori. »Insbesondere hier und in dieser Gesellschaft.«
    Gentle blickte zu Celestine hinüber. Sie stand noch immer aufrecht, aber ganz offensichtlich konnte sie sich nur mit Hilfe der Stränge auf den Beinen halten. Die Augen waren nun geschlossen, und sie bebte am ganzen Leib. Der Rekonziliant wußte, daß sie Hilfe brauchte, aber er konnte sich nicht um sie kümmern, solange Sartori seine Aufmerksamkeit verlangte. Er drehte sich um und stieß das andere Selbst zum Loch in der Mauer. Sartori fiel hin, als er ihn losließ, und streckte gerade noch rechtzeitig die Arme aus, um den Aufprall abzufangen.
    »Hilf ihr ruhig«, sagte er und sah mit ausdrucksloser Miene zu Gentle auf. »Ich bin nicht verletzt - im Gegensatz zu ihr.«
    Er holte tief Luft, und Gentle dachte zunächst, daß sein Bruder Kraft für einen Angriff sammelte. Doch Sartori murmelte nur: »Ich liege hier auf dem Bauch. Einem 1037

    Wehrlosen willst du doch kein Leid zufügen, oder?« Und wie um seine plötzliche Demut zu beweisen, kroch er einer Schlange gleich über den Boden.
    »Du bist ihr bestimmt willkommen«, fügte das andere Selbst hinzu und schob sich durch das Loch in der Wand.
    Celestines Augen waren nach wie vor geschlossen, und ihr Leib schien nun erschlafft zu sein. Gentle trat auf sie zu - sofort zuckten die Lider nach oben.
    »Nein...«, brachte die Frau hervor. »Komm... mir... nicht...
    zu... nahe.«
    Konnte er ihr deswegen einen Vorwurf machen? Ein Mann mit seinem Gesicht hatte versucht, sie zu ermorden oder zu vergewaltigen - vielleicht beides. Warum sollte sie jemandem mit den gleichen Zügen vertrauen? Außerdem: Dies war nicht der geeignete Zeitpunkt, um Unschuld zu beteuern; Celestine brauchte Hilfe, keine Entschuldigungen. Doch von wem mochte sie sich helfen lassen? Jude hatte darauf hingewiesen, daß nicht einmal sie in die Nähe der Befreiten durfte. Vielleicht ist sie bereit, Clems Hilfe anzunehmen, überlegte Gentle.
    »Ich schicke jemanden«, sagte er und verließ die Kammer.
    Sartori war verschwunden - er hatte die gute Gelegenheit genutzt, um zu fliehen. Gentle folgte ihm zurück zur Treppe, und auf halbem Weg begegnete er Judith, Clem und Montag. Die Besorgnis wich aus ihren Mienen, als sie ihn sahen.
    »Wir dachten schon, er hätte dich umgebracht«, sagte Jude.
    »Mit mir ist alles in Ordnung. Aber er hat Celestine verletzt, und sie lehnt meine Hilfe ab. Bitte kümmere dich um sie, Clem. Und sei vorsichtig: Sie mag schwach aussehen, doch es wohnt noch immer viel Kraft in ihr.«
    »Wo ist sie?«
    »Jude führt dich zu ihr. Ich knöpfe mir Sartori vor.«
    »Er lief die Treppe zum Turm hoch«, sagte Montag.
    »Und er hat uns überhaupt keine Beachtung geschenkt«, fügte Judith hinzu. Es klang fast beleidigt. »Eilte einfach an 103
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    uns vorbei. Was hast du nur mit ihm angestellt?«
    »Nichts. Wieso?«
    »Nie zuvor habe ich einen solchen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen. Und das gilt auch für dich.«
    »Was zeigten seine Züge?«
    »Etwas Tragisches«, sagte Clem.
    »Vielleicht können wir einen rascheren Sieg erringen, als ich dachte.« Gentle wandte sich der Treppe zu.
    »Warte!« rief Judith. »Hier können wir Celestine nicht richtig helfen. Wir müssen sie zu einem sicheren Ort bringen.«
    »Einverstanden.«
    »Wie wär's mit dem Atelier?«
    »Nein«, widersprach Gentle. »Ich kenne da ein Haus in Clerkenwell... Dort sind wir sicher. Sartori hat mich daraus vertrieben, aber es gehört mir, und wir kehren dorthin zurück.
    Wir alle.«
    1039

    KAPITEL 51
    Sonnenschein erwartete Gentle im Foyer und erinnerte ihn an Taylor - mit seinen Worten aus dem Mund des schlafenden Jungen hatte dieser Tag begonnen. Seit der Morgendämmerung schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, und die letzten Stunden waren mit Erlebnissen und Offenbarungen angefüllt gewesen. Gentle wußte: Auf diese Weise würde es weitergehen, bis zur

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