Imagica
den Kopf senkten, sahen sie Erde. Auf das, was sich weit über ihnen erstreckte, ließ sich kein Einfluß nehmen, doch der Boden unter ihnen... Man konnte ihn besitzen, um ihn kämpfen. Nun, aus dieser Teilung gingen alle weiteren hervor. Die damaligen Menschen verloren sich in Territorien und Nationen, natürlich geformt und benannt vom anderen Geschlecht. Sie begruben sich sogar in der Erde, um noch mehr Anspruch auf sie zu erheben, zogen Würmer dem Licht vor. Imagica gegenüber wurden sie blind, und dadurch brach der Kreis. Hapexamendios verdankt Seine Existenz dem Willen jener Menschen, und Er sammelte genug Kraft, um Seine Schöpfer zu verlassen, die Fünfte Domäne aufzugeben und die Erste zu erreichen...«
»Und um unterwegs Göttinnen zu töten.«
»Er brachte viel Leid, aber es hätte noch schlimmer sein können, wenn Ihm die Form von Imagica bekannt gewesen wäre. Zum Glück wußte Er nicht, welches Mysterium sich im Innern des Domänenkreises befindet. Wenn Er jenen Bereich aufgesucht hätte...«
»Was für ein Mysterium?«
»Du kehrst bald zu einem gefährlichen Ort zurück, liebe Judith. Je weniger du weißt, desto sicherer bist du. Wenn die Zeit kommt, lüften wir die Geheimnisse zusammen, als 1165
Schwestern. Bis dahin tröste dich mit dem Gedanken, daß der Irrtum des Sohnes auch der Irrtum des Vaters ist. Irgendwann korrigieren sich solche Fehler von selbst und verlieren dadurch ihre Bedeutung.«
»Wenn alles von allein in Ordnung kommt...«, sagte Judith.
»Warum muß ich dann in die Fünfte zurück?«
Bevor Uma Umagammagi Antwort geben konnte, erklang eine andere Stimme. Partikel stoben zwischen Jude und der Göttin hin und her, als die zweite Frau sprach. Wo sie Judiths Haut berührten, spürte sie ein Prickeln, das Assoziationen an Eis und Feuer weckte.
»Warum traust du dieser Frau?« fragte die Fremde.
»Weil sie offenherzig zu uns kam, Jokalaylau«, erwiderte die Göttin.
»Wie offenherzig kann eine Frau sein, die ohne Tränen dort weilt, wo ihre Schwester starb?« entgegnete Jokalaylau. »Wie offenherzig kann eine Frau sein, die in Unserer Präsenz ohne Scham bleibt, obwohl in ihrem Bauch das Kind des Autokraten Sartori wächst?«
»Hier haben wir keinen Platz für Scham«, sagte Uma Umagammagi.
»Du hast vielleicht keinen Platz dafür«, erwiderte Jokalaylau und zeigte sich nun. »Im Gegensatz zu mir.«
Wie ihre Schwester offenbarte sich Jokalaylau in der essentiellen Form. Ihre Gestalt war komplexer als die Uma Umagammagis und bot aufgrund der hektischen Bewegungen darin keinen so angenehmen Anblick. Bei ihr beobachtete Judith kein sanftes Wogen, sondern ein Brodeln und Kochen, aus dem sich immer wieder Partikel lösten.
»Eine Frau, die das Bett mit einem unserer Feinde teilte und sich von ihm schwängern ließ, sollte sich wenigstens schämen«, fügte Jokalaylau hinzu.
Zwar empfand Jude großen Respekt der Göttin gegenüber, aber hier stand ihre Ehre auf dem Spiel.
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»Die Sache ist viel komplizierter«, sagte sie. Der Ärger darüber, daß Jokalaylau das harmonische Gespräch mit Uma Umagammagi gestört hatte, verlieh ihr Mut. »Ich wußte nicht, daß er der Autokrat war.«
»Für wen hast du ihn denn gehalten? Oder war es dir völlig gleich, mit wem du ins Bett gestiegen bist?«
Vielleicht wäre es zu einer regelrechten Konfrontation gekommen, aber Uma Umagammagi sprach erneut, und ihre Stimme klang so ruhig wie zuvor.
»Liebe Judith«, begann sie, »laß mich mit meiner Schwester reden. Sie hat durch den Unerblickten mehr gelitten als Tishalulle oder ich, und deshalb ist Sie nicht ohne weiteres bereit, jenem Fleisch zu verzeihen, das von Ihm oder Seinen Kindern berührt wurde.«
In ihrem Tonfall hörte Judith ein solches Zartgefühl, daß sie plötzlich die Scham spürte, die Jokalaylau von ihr erwartete.
Sie bezog sich nicht auf das ungeborene Kind, sondern auf ihren Zorn.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Meine Reaktion war... unangebracht.«
»Warte am Ufer auf uns«, schlug Uma Umagammagi vor.
»Wir beraten uns hier eine Weile.«
Jude wußte, daß sich die Trennung von der Göttin nicht vermeiden ließ - sie wußte es, seit Umagammagi ihre Rückkehr in die Fünfte erwähnt hatte. Doch sie war nicht darauf vorbereitet, die heilige Sphäre so rasch zu verlassen. Als sie spürte, wie die Schwerkraft an ihr zupfte, erlitt sie schier unerträgliche Qualen. Doch sie mußte irgendwie damit fertig werden. Wenn Uma Umagammagi von ihrer Pein wußte - und
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