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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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L'Himby erreichte, wo sich Zelebranten an den Tempeln einfanden - ihre Hoffnungen waren von Propheten geweckt worden, die in der vergangenen Nacht ihre Verstecke verlassen hatten, um auf die unmittelbar bevorstehende Rekonziliation hinzuweisen.
    Der nicht minder inspirierte Athanasius reiste derzeit über den Fastenweg zu den Grenzen der Dritten, flog über den Ozean zu den Inseln, erreichte schließlich Yzordderrex und wanderte ruhig durch die Straßen der veränderten Stadt. Dort stieß er auf Herausforderungen, die sich allein für ihn ergaben und die Scopique, Tick Raw und selbst Gentle unbekannt blieben. An einigen Stellen begegnete er schlüpfrigen Wundern, die sich nicht so einfach analogisieren ließen. Wie sich nun herausstellte, hatte Scopique eine sehr kluge Entscheidung getroffen, als er Athanasius bat, sich der Synode anzuschließen. Der Priester war von Christos besessen, dem 122
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    blutenden Gott, und deshalb verstand er die Natur des von den Göttinnen gebrachten Wandels. Ein anderer, der Tod und Wiederauferstehung weniger Beachtung schenkte, hätte sich kaum zu einer derartigen Erkenntnis durchringen können. In den verheerten Straßen von Yzordderrex sah Athanasius ein Spiegelbild seiner eigenen physischen Verheerung. Und in der Musik des ikonoklastischen Wassers hörte er ein Echo des Blutes, das aus seinen Wunden floß - und durch die Liebe zur Heiligen Mutter zu einer erhabenen, heilenden Flüssigkeit wurde.
    Nur Chicka Jackeen an der Grenze zur Ersten Domäne mußte mit Abstraktionen arbeiten, denn es existierte nichts Konkretes, dem er Analogien abgewinnen konnte. Für ihn gab es nur die Leere der Rasur. Jene Domäne, die er in sich aufnehmen und zum Ana bringen sollte, blieb hinter der Barriere verborgen.
    Aber Jackeen hatte sich nicht umsonst viele Jahre lang mit dem Phänomen befaßt: Er kannte eine Möglichkeit, sein Problem zu lösen. Mit dem Körper konnte er kein Gleichnis schaffen für das, was sich auf der anderen Seite des Nichts befand, doch sein Selbst enthielt etwas, das ebenso substanzlos und rätselhaft war wie die Erste: das Geistige. Der Kern des Ichs - Quelle des bewußten Handelns und der hingebungsvollen Leidenschaft, die Jackeen in seinen Kreis geführt hatte - schuf das notwendige Ebenbild. Die leere Wand der Rasur war der weiße Knochen des Schädels, ohne Haut und Haar. Dem Gesicht darin fehlte die Fähigkeit, sich objektiv zu betrachten; es symbolisierte sowohl den Gott der Ersten als auch Chicka Jackeens Gedanken, durch eine Brücke des gegenseitigen Erforschens miteinander verbunden.
    Der nächste Morgen würde beides vom Fluch der Unsichtbarkeit befreien. Dann verschwand die Rasur, um den Blick auf den Göttlichen freizugeben, auf daß Er wieder in den Welten von Imagica wandeln konnte. Wenn das geschah, wenn 1221

    der gleiche Gott, der die Nullianacs in Seinem Ofen verbrannt hatte, um das Böse zu vernichten, nicht länger von den Domänen getrennt war... Dann kam es zu einer wahrhaft einzigartigen Offenbarung. Dann schwangen für die Toten bis dahin verschlossene Türen auf. Und dann brauchten sich die Lebenden nicht mehr vor ihren Seelen zu fürchten, konnten wie Heilige auf die Straße treten und ihr persönliches Paradies auf dem Kopf tragen, damit alle es sahen.
    Gentle besann sich auf seine eigenen Pflichten und hatte keine klare Vorstellung davon, welche Fortschritte die anderen Maestros erzielten. Er empfing jedoch nicht die Emanationen von Besorgnis, woraus er den Schluß zog, daß alles in Ordnung war. All die Schmerzen und Demütigungen, die er hatte hinnehmen müssen, um diesen Ort zu erreichen, zahlten sich nun aus - der Kreis entschädigte ihn. Er fühlte eine Ekstase, die ihn in der Vergangenheit höchstens nur ein oder zwei Sekunden lang beglückt hatte. Früher war er davon überzeugt gewesen, daß man sie nicht länger genießen konnte, weil man sonst innerlich zerplatzte, doch jetzt sah er seinen Irrtum ein.
    Die Ekstase dauerte an, und er überlebte nicht nur, sondern wuchs: Seine Autorität nahm mit jeder Stadt zu, die er in den Kreis zog.
    Fast die ganze Fünfte weilte jetzt bei und in ihm. Ihre Präsenz wies deutlich auf die wahre Macht des Rekonzilianten hin: Sie bestand nicht aus Zauber und Magie, aus Pneumas, Wiederauferstehungen und Exorzismen. Es ging dabei vielmehr um die Kraft, die Myriaden Wunder einer ganzen Domäne mit den Namen des Körpers zu rufen und nicht von ihrer Last zermalmt zu werden. Es ging darum, die eigene Gegenwart

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