Imagica
Verbindung und konzentrierte sein Potential allein darauf, den Rekonzilianten durchs In Ovo zu geleiten. Jenes ›Fenster‹ - es öffnete sich zwischen dem Transit des Bruders zum Ana und dem Abschluß der Zusammenführung - gab Sartori dann die Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Er stellte sich vor, wie er das Haus betrat, wie er die Gek-a-gek aufforderte, sich Gentle zu schnappen (und jeden, der ihn zu schützen versuchte), während er Anspruch auf Judith erhob...
Die Gedanken an sie und das ersehnte Kreauchee veranlaßten ihn dazu, den blauen Stein hervorzuholen und zu den Lippen zu heben. Tausendmal hatte er ihn während der vergangenen Stunden geküßt und beleckt, daran gesaugt. Aber er wünschte sich ihn noch tiefer in seinem Innern, im Bauch, als einen Teil von ihr. Er nahm das blaue Ei in den Mund, neigte den Kopf nach hinten und schluckte. Das kleine, runde und glatte Objekt rutschte sofort dem Magen entgegen und 1227
gewährte Sartori einige Minuten lang Ruhe, während er auf die Stunde der Erlösung wartete.
Clems Kopf enthielt zwei Seelen - andernfalls hätte er vielleicht der Versuchung nachgegeben, seinen Posten an der Eingangstür zu verlassen, während oben der Rekonziliant arbeitete. Die Zeremonie setzte eine sonderbare Energie frei, und zuerst führte sie zu Krämpfen im Bauch. Doch es dauerte nicht lange, bis die Schmerzen nachließen und eine überaus angenehme Gelassenheit folgte, die in Clem den Wunsch weckte, sich irgendwo hinzulegen und zu träumen. Aber Tay hatte eine derartige Pflichtversäumnis streng verboten. Sobald Clems Aufmerksamkeit nachließ spürte er, wie ihn die Präsenz des Geliebten - sie war auf so subtile Weise mit seinem Denken und Fühlen verbunden, daß sie sich nur bei einem Interessenkonflikt bemerkbar machte - ermahnte und aufforderte, auch weiterhin wachsam zu sein. Und so blieb Clem an der Tür, obgleich er inzwischen nicht mehr mit irgendwelchen Gefahren rechnete.
Die Kerze neben der Tür ertrank allmählich in ihrem eigenen Wachs, und er bückte sich, um den Rand einzukerben und einen Abflußkanal für die Flüssigkeit zu schaffen. Plötzlich erklang draußen ein Geräusch: Es hörte sich an, als schlüge jemand mit einem Fisch an die Tür. Clem wandte sich von der Kerze ab und lauschte. Jetzt blieb alles still. War eine Frucht vom Baum gefallen, oder ging ein noch seltsamerer Regen nieder? Er drehte sich um und schritt zur Tür des Zimmers, in dem Montag Hoi-Polloi unterhalten hatte. Die jungen Leute waren schon vor einer ganzen Weile aufgebrochen, um sich mit zwei Kissen in einen anderen Raum zurückzuziehen. Die Vorstellung, daß in dieser Nacht auch Liebe im Haus wohnte, gefiel Clem sehr, und er wünschte dem Jungen und Hoi-Polloi alles Gute, als er zum Fenster trat. Draußen war es dunkler als erwartet: Zwar sah er die kurze Treppe, aber er konnte nicht zwischen Montags Bildern oder irgendwelchen Dingen 122
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unterscheiden, die auf den Stufen lagen.
Er kehrte zur Eingangstür zurück und horchte erneut; dabei fühlte er keine Furcht, nur Verwirrung. Wieder blieb alles still, und etwas in ihm spielte mit dem Gedanken, es einfach dabei bewenden zu lassen. Doch ein anderer Teil seines doppelten Selbst hoffte fast, daß die Finsternis einen visionären Regen bescherte, und dieser Ich-Aspekt verlangte von Clem, der Sache auf den Grund zu gehen. Er rückte die Kerze zur Seite, und das flüssige Wachs löschte die Flamme. Nicht weiter schlimm - es brannten andere Kerzen am unteren Ende der Treppe, und ihr Licht genügte, um die Riegel zu finden und sie beiseite zu schieben.
Judith erwachte in Celestines Zimmer und hob den Kopf von der Matratze, wo er seit einer Stunde ruhte. Nachdem die beiden Frauen Frieden miteinander geschlossen hatten, unterhielten sie sich noch eine Zeitlang, doch schließlich erlag Jude der Erschöpfung. Celestine schlug vor, daß sie sich ein wenig ausruhen solle, und diesen Rat beherzigte sie gern. Jetzt stellte sie fest, daß auch Gentles Mutter nicht auf den Beinen geblieben war: Sie lag auf den harten Bodendielen und hatte nur den Kopf auf die Matratze gelegt. Celestine schnarchte leise und schlief weiter, ungestört von dem Etwas, das Judith geweckt hatte.
Die Tür war einen Spaltbreit offen - ein süßlicher Geruch wehte herein und ließ vage Übelkeit in Jude entstehen. Sie rieb sich den Nacken und stand auf. Bevor sie müde geworden war, hatte sie die Schuhe abgestreift, doch sie verlor nun keine Zeit damit, im dunklen
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