Imagica
zum Ausdruck, aber sie zwang sich, auch den Rest zu erzählen. »Ich legte mich unter ihn. Ja, ich legte mich unter ihn, obwohl Hunderte von Personen zugegen waren, und der Penis wurde rot, schien regelrecht zu glühen. Als er starb, spritzte er seinen Samen heraus. Ich wollte aufstehen und den Tropfen ausweichen, aber meine Beine waren gespreizt, und ich bewegte mich zu spät, konnte es nicht vermeiden, von dem Sperma berührt zu werden. Die Flüssigkeit kroch in meinen Schoß und brannte so heiß, daß ich fast laut geschrien hätte.
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Doch ich schwieg - weil ich die Stimme hörte.«
»Welche Stimme?«
»Sie erklang im Boden neben mir und flüsterte.«
»Was sagte sie?«
»Sie wiederholte immer wieder zwei Worte. Nisi Nirwana.
Nisi Nirwana. Nisi... Nirwana.«
Tränen rannen über die Wangen der Befreiten, und Celestine versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Doch plötzlich fehlte ihr die Kraft, jenen Namen noch einmal zu formulieren.
»Sprach Hapexamendios zu dir?« fragte Judith.
Gentles Mutter schüttelte den Kopf. »Warum sollte Er zu mir sprechen? Er hatte bekommen, was Er wollte. Ich schlief und träumte, während Er mir Seinen Samen gab. Als ich erwachte, war Er längst zu Seinen Engeln zurückgekehrt.«
»Wem gehörte die Stimme dann?«
»Keine Ahnung. Wie oft habe ich mir die gleiche Frage gestellt, ohne Antwort darauf zu finden... Schließlich verwandelte ich das Rätsel in eine Geschichte, um sie dem Sohn zu erzählen: Er sollte das Geheimnis auch nach meinem Tod behalten. Seltsam... Heute glaube ich, daß ich eigentlich gar nicht Bescheid wissen wollte. Ich fürchtete, daß mir die Wahrheit das Herz brechen würde. Und nicht nur mir, sondern der ganzen Welt.«
Sie blickte Jude an.
»Jetzt kennst du meine Schande.«
»Ich kenne deine Geschichte«, erwiderte Judith. »Aber ich sehe keine Schande darin.«
Sie hatte gegen eigene Tränen angekämpft, seit Celestine von ihrem Entsetzen berichtete, doch nun gab sie den Widerstand auf, und sofort wurden auch ihre Wangen feucht.
Der Grund: der Schmerz des geteilten Leids; die Pein des Zweifels, der nach wie vor in ihr weilte. Und das Lächeln, das Celestines Züge erhellte, als sie Judiths Antwort hörte. Gentles Mutter durchquerte das Zimmer, um die andere Frau zu 1215
umarmen, wie einen geliebten, verloren geglaubten Menschen, der nun zurückgekehrt war, um noch einmal Freude zu gewähren - vor einem letzten, alles verbrennenden Feuer.
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KAPITEL 59
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Gentles Weg zur Rekonziliation war mit Erinnerungen gepflastert, die ihn zu seinem eigenen Ich zurückführten, doch im Hinblick auf die wichtigen Reminiszenzen mangelte es ihm an innerer Vorbereitung - sie betrafen die Zeremonie, den Vorgang der Rekonziliation.
Zwar hatte er das Ritual schon einmal durchgeführt, doch unter ganz anderen Umständen. Damals war schon gefeiert worden, noch bevor die Zusammenführung begann. Gentle sah sich selbst wie einen Boxer, der den Ring als Sieger betrat, obgleich der Kampf erst noch stattfinden mußte, der noch nicht einmal schwitzte, während er sich bereits bejubeln ließ.
Diesmal leisteten ihm keine Fans und Bewunderer Gesellschaft. Außerdem: Damals hatte er in erster Linie ans Danach gedacht, an seinen Lohn: an Reichtum und unendlichen Ruhm, an all die Frauen, die er haben konnte.
Diesmal ging es ihm um ganz andere Trophäen, die sich nicht auf fleckigen Laken und mit Geld messen ließen. Er war das Werkzeug einer höheren und weiseren Macht.
Dieser Umstand eliminierte die Furcht. Als Gentle sein Bewußtsein öffnete, fühlte er, wie sich Ruhe auf ihn herabsenkte und das frühere Unbehagen aus ihm verdrängte. Er hatte Jude und Clem auf eine spezielle Energie hingewiesen, die durchs Haus strömen und jeden Winkel erreichen würde, und das entsprach der Wahrheit. Er spürte nun, wie sie seinem geschwächten Selbst neue Kraft verlieh, wie sie hindernde Gedanken aus dem Kopf verbannte, damit er die Domäne zum Kreis hinbringen konnte.
Das Sammeln der einzelnen Komponenten begann an dem Ort, wo er nun saß. Sein Geist dehnte sich in alle Richtungen 1217
aus, um die Summe des Raumes zu erfassen. Das fiel ihm nicht weiter schwer. Über Jahrhunderte hinweg hatten eingekerkerte Dichter die Analogien für ihn geschaffen, und Gentle benutzte sie nun. Die Wände begrenzten seinen Leib; die Tür war der Mund, und die Fenster kamen den Augen gleich. Es handelte sich um eher banale Metaphern, die ihn auf Komplexeres vorbereiteten. Er nahm auch
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