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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Treppe hinzu; er trug zwei Knüppel, die ebenfalls aus Montags Produktion stammten.
    »Wie viele Biester sind da draußen?« fragte er.
    »Fünf oder sechs.«
    »Dann solltest du die Hintertür bewachen.« Clem reichte Judith eine der beiden improvisierten Keulen.
    Doch sie lehnte die Waffe ab. »Behalt sie. Und sorg dafür, daß die Oviaten so lange wie möglich draußen bleiben.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde versuchen, Gentle an der Rekonziliation zu hindern.«
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    »Du willst ihn an der Rekonziliation hindern? Warum denn, um Himmels willen?«
    »Dowd hatte recht. Wenn er die Domänen zusammenführt, sind wir alle so gut wie tot.«
    Clem ließ die beiden Knüppel fallen und hielt Judith fest.
    »Nein«, sagte er. »Das kann ich nicht zulassen.«
    Jetzt sprach nicht nur Clem, sondern auch Taylor - zwei Stimmen, in der gleichen Absicht vereint. Es bereitete Jude großen Kummer, diese Worte von guten Freunden zu hören, die einen festen Platz in ihrem Herzen hatten. Doch sie bewahrte ihre Entschlossenheit.
    »Laß mich los«, verlangte sie und tastete nach dem Treppengeländer.
    »Sartori hat dich durcheinandergebracht, Judy«, erwiderten die beiden Schutzengel. »Du weißt gar nicht, auf was du dich einläßt.«
    »Ich weiß es ganz genau«, widersprach sie und versuchte, sich zu befreien. Die Haut von Clems Armen war zwar verätzt, aber die Muskeln darunter entfalteten eine Kraft, der Judith nichts entgegensetzen konnte. Sie sah zu Montag, doch von ihm durfte sie keine Hilfe erwarten: Er und Hoi-Polloi standen mit dem Rücken zur Tür und fügten ihr eigenes Gewicht der Masse des Holzes hinzu. Auf der anderen Seite schlugen die Gek-a-gek mit ihren Pranken gegen die Barriere. Die Balken mochten dick und fest sein, aber sicher war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie splitterten und nachgaben. Jude mußte zu Gentle, bevor die Oviaten ins Haus eindrangen.
    Plötzlich erklang eine Stimme und übertönte das donnernde Pochen.
    »Laß sie los!«
    Celestine stand in der offenen Tür ihres Zimmers, in ein Laken gehüllt. Um sie herum flackerte das Kerzenlicht, aber sie stand gerade und unerschütterlich und musterte Clem mit einem durchdringenden Blick. Die beiden Schutzengel drehten 1245

    den Kopf und hielten Judith auch weiterhin fest.
    »Sie hat vor...«
    »Ich weiß, was sie vorhat«, sagte Celestine. »Du solltest besser den jungen Leuten helfen. Laß sie los!«
    Jude spürte, wie sich der Griff lockerte, und gab Clem keine Gelegenheit, es sich anders zu überlegen. Mit einem Ruck riß sie sich ganz los und eilte die Treppe hoch. Auf halbem Weg nach oben hörte sie einen Schrei, sah nach unten und beobachtete, wie Montag und Hoi-Polloi zurücktaumelten. Ein Loch klaffte im mittleren Teil der Tür, und eine Pranke streckte sich durch die Öffnung.
    »Verlier keine Zeit!« rief Celestine. Jude nickte rasch und hastete nach oben, während Gentles Mutter auf die unterste Stufe trat, um die Treppe zu bewachen.
    Zwar mangelte es dem Obergeschoß an Licht, aber die Details der physischen Welt wurden trotzdem mit jedem Schritt deutlicher. Der Treppenabsatz unter Judiths nackten Füßen stellte ein Wunderland aus Maserungen und Astlöchern dar, formte eine bezaubernde Landschaft. Das Faszinierende beschränkte sich aber nicht nur auf die visuelle Wahrnehmung, sondern betraf auch die anderen Sinne. Zum Beispiel das Geländer unter Judes Hand: Es schien weicher zu sein als Seide. Der Geruch von Saft und Staub forderte Aufmerksamkeit und Bewunderung. Die Frau versuchte, sich nicht von diesen Dingen ablenken zu lassen, blickte zur Tür weiter vorn, hielt den Atem an und löste die Hand vom Geländer, um sich besser auf ihr Anliegen konzentrieren zu können. Es war nicht leicht. Holz knarrte unter ihr und sang eine komplexe Melodie. Die Schatten vor und neben der Tür wiesen subtile Unterschiede auf, die es zu ergründen galt.
    Andererseits: Der Lärm im Erdgeschoß erinnerte Jude ständig daran, daß Eile geboten war. Stimmen erklangen in dem Durcheinander aus Brüllen, Knurren und Fauchen, unter ihnen auch die Sartoris.
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    »Wohin gehst du, Liebste?« fragte er. »Du darfst mich nicht verlassen. Ich verbiete es dir. Sieh nur! Siehst du das? Ich habe die Messer mitgebracht.«
    Jude drehte sich nicht um, schloß die Augen, hielt sich die Ohren zu und wankte blind und taub über die letzten Stufen.
    Als ihre Zehen nicht mehr gegen Hindernisse stießen, wußte sie, daß sie das Ende der Treppe erreicht hatte,

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