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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Tränensäcken. Bei jedem Wort sprühte Speichel. »Sie ahnen nicht die Hälfte der Wahrheit!«
    stieß er hervor. »Nicht einmal die Hälfte. Wir haben es mit einer Verschwörung zu tun, und dahinter stecken Mächte, die wir uns kaum vorstellen können. Chant kam in ihrem Auftrag.
    Leute wie er können ganz offensichtlich menschliche Gestalt annehmen.«
    »Das ist doch absurd«, kommentierte Tyrwhitt.
    »Sie glauben mir nicht?«
    »Nein. Und ich lasse nicht zu, daß Ihr Laufbursche an unseren Diskussionen teilnimmt. Bitte schicken Sie ihn fort.«
    »Er kann meine Ausführungen beweisen«, beharrte Oscar.
    »Ach, tatsächlich?«
    »Er wird es ihnen zeigen.« Godolphin wandte sich an Dowd.
    »Ich fürchte, jetzt müssen wir die Katze aus dem Sack lassen«, brummte er und griff dabei in die Tasche.
    Der Beschworene begriff die Absicht seines Herrn, noch bevor er die Klinge sah. Er drehte sich um, aber Oscar war schneller. Dowd spürte Godolphins Hand am Nacken und hörte entsetzte Schreie von allen Seiten. Ein plötzlicher Stoß warf ihn auf den Tisch, und dort lag er im Licht der Deckenlampen und zappelte wie ein widerspenstiger Patient. Der Chirurg hob sein Skalpell und rammte es in den Brustkorb.
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    »Sie wollten doch einen Beweis, nicht wahr?« rief Oscar. Er übertönte sowohl Dowds Kreischen als auch die Schreie der anderen. »Jetzt bekommen Sie ihn!«
    Er beugte sich vor, trieb die Klinge mit seinem Gewicht tiefer in den Körper hinein, schnitt nach rechts und links, ohne dabei auf den Widerstand von Rippen oder Brustbein zu stoßen. Aus den Wunden floß kein Blut, sondern eine Flüssigkeit, die wie schmutziges Wasser aussah. Dowds Kopf zuckte von einer Seite zur anderen, als er diese Entwürdigung hinnehmen mußte; nur einmal hob er ihn und sah anklagend Godolphin an, dessen Aufmerksamkeit in erster Linie dem Messer galt. Er ignorierte das Grauen der übrigen Anwesenden und setzte sein gräßliches Werk fort, bis der Leib vom Nabel bis zur Kehle geöffnet war und sich Dowd nicht mehr rührte.
    Ein schauderhafter Geruch ging von dem Leichnam aus, wie eine Mischung aus Kloakengestank und Vanille. Zwei Beobachter taumelten zur Tür, und einer von ihnen - Bloxham
    - übergab sich, bevor er das Zimmer verlassen konnte. Sein Schnaufen und Würgen lenkte Godolphin nicht ab.
    Entschlossen streckte er die Hände in den offenen Körper und zerrte Eingeweide heraus: Die knotige Masse aus blau-schwarzem Gewebe stellte den letzten Beweis dafür dar, daß Dowd kein Mensch gewesen sein konnte. Triumphierend klatschte Oscar totes Fleisch auf den Tisch, warf das Messer in die klaffende Wunde und trat zurück. Seine Vorstellung hatte nur eine Minute in Anspruch genommen, doch in diesen sechzig Sekunden gelang es ihm, die Versammlungskammer in eine Art Schlachthaus zu verwandeln.
    »Zufrieden?« fragte er.
    Es erklangen keine protestierenden Stimmen mehr. Das einzige Geräusch war ein leises, rhythmisches Zischen, mit dem Flüssigkeit aus einer zerfetzten Ader strömte.
    Dann sagte McGann leise:
    »Sie sind total übergeschnappt.«
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    Oscar tastete behutsam in die Hosentasche und holte ein Taschentuch hervor. Es befand sich in einem makellosen Zustand
    - Dowd hatte es erst vor wenigen Stunden gebügelt. Godolphin verwendete es nun, um sich die Hände zu säubern.
    »Wie sollte ich sonst einen überzeugenden Beweis erbringen?« erwiderte er. »Sie ließen mir keine Wahl. Jetzt kann mich niemand mehr einen Lügner nennen. Ich weiß nicht, was aus dem wahren Dowd geworden ist - meinem Laufburschen, wie Sie ihn zu bezeichnen pflegten -, aber wo auch immer er jetzt sein mag: Dieses Ding ersetzte ihn.«
    »Seit wann wissen Sie Bescheid?« fragte Charlotte.
    »Vor zwei Wochen habe ich Verdacht geschöpft. Ich bin die ganze Zeit über in der Stadt gewesen, um den Pseudo-Dowd zu beobachten, während er mich - wie auch Sie das taten - in irgendwelchen warmen, sonnigen Gefilden glaubte.«
    »Was ist das, zum Teufel?« Lionel deutete auf die Leiche des Fremden.
    »Das mag allein der Himmel wissen«, entgegnete Godolphin. »Ganz offensichtlich ein Wesen, das nicht von dieser Welt stammt.«
    »Mit welchen Absichten kam es?« warf Alice ein. »Diese Frage ist wichtiger als alle anderen.«
    »Ich schätze, es wollte Zugang zur Versammlungsrunde.«
    Oscar musterte die Personen am Tisch nacheinander. »Diesen Wunsch erfüllten Sie ihm vor drei Tagen, soviel ich weiß. Ich hoffe, Sie sind dabei nicht indiskret gewesen.« Einige

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