Imagica
der Liebe brachte wenigstens noch gewisse Vorteile mit sich. Seit dem Feuer in Streatham hatte Zacharias kaum etwas gegessen, und die trockene Hitze trübte seine Wahrnehmung. Zweimal mußte er sich in dem Raum umsehen, bevor er Taylor im Bett bemerkte, umringt von den seelenlosen Begleitern des modernen Todes: eine Sauerstoffflasche mit Schläuchen und Maske; ein Tisch, auf dem Handtücher lagen; ein weiterer mit einer Schüssel für Erbrochenes und einer Bettpfanne; ein dritter mit Medikamenten und diversen Salben. In der Mitte dieses Durcheinanders lag jemand, der wie ein Gefangener dieser Dinge aussah. Taylor ruhte auf einem Kunststoffkissen und hatte die Augen geschlossen. Er wirkte wie ein Greis. Das Haar war dünn und schütter, der Leib hager, wie ausgemergelt. Die blasse Haut schien an Substanz verloren zu haben und das Innere des Körpers nicht mehr verbergen zu können: Knochen, Sehnen, Adern. Gentle rang mit sich selbst und wäre am liebsten aus dem Zimmer geflohen. Erneut spürte er die 212
unmittelbare Präsenz des Todes, so kurz nach den schrecklichen Erlebnissen in Streatham, und die sonderbare Mischung aus Furcht und Hilflosigkeit kehrte zurück.
Er wartete an der Tür, während Clem zum Bett ging und den Schlafenden behutsam weckte. Taylor hob die Lider, und Ärger zeichnete sich in seinen Zügen ab, bis sein Blick Gentle fand.
Daraufhin leuchtete so etwas wie Freude in den Augen des Kranken, und er sagte:
»Du hast ihn gefunden.«
»Judy hat ihn hierhergebracht«, entgegnete Clem.
»Oh, Judy. Sie ist ein wahrer Schatz.« Taylor versuchte sich aufzusetzen, aber die Anstrengung war zu groß für ihn. Er schnaufte und keuchte, und für ein oder zwei Sekunden verwandelte sich sein Gesicht in eine Grimasse.
»Soll ich dir ein schmerzstillendes Mittel holen?« fragte Clem.
»Nein, danke«, antwortete Taylor. »Ich möchte einen klaren Kopf behalten, um mit Gentle reden zu können.« Er sah zu dem Besucher hinüber, der noch immer unter der Tür verharrte.
»Was hältst du von einem Gespräch, John? Nur wir beide...«
»Gern«, brachte Gentle hervor.
Clem wandte sich vom Bett ab und winkte Zacharias. Ein Stuhl stand in der Nähe, aber Taylor klopfte aufs Bett, und dort nahm Gentle Platz. Er hörte, wie das Plastiklaken unter der Decke knisterte.
»Gib mir Bescheid, wenn du etwas brauchst«, sagte Clem, bevor er das Zimmer verließ - seine letzte Bemerkung galt nicht etwa Taylor, sondern Gentle.
»Holst du mir bitte ein Glas Wasser?« fragte Taylor.
Gentle erfüllte ihm diesen Wunsch, reichte ihm das Glas und begriff dabei, daß der Kranke gar nicht genug Kraft hatte, um es zu halten. Er setzte es ihm an die verschwollenen, hier und dort aufgeplatzten Lippen. Nach einigen Schlucken murmelte Taylor etwas.
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»Genug?« fragte Gentle.
»Ja, danke«, bestätigte Taylor, und Zacharias stellte das Glas auf einen der Tische. »Ich habe tatsächlich genug, von allem.
Zum Glück ist es bald vorbei.«
»Bestimmt erholst du dich wieder.«
»Ich wollte nicht mit dir sprechen, damit wir uns gegenseitig belügen«, sagte Taylor. »Ich habe ständig an dich gedacht. Tag und Nacht, Gentle.«
»Das verdiene ich bestimmt nicht.«
»Mein Unterbewußtsein ist anderer Ansicht«, betonte Taylor. »Und um ganz ehrlich zu sein: Das gilt auch für den Rest von mir. Übrigens: Du siehst müde aus. Hast wohl in der letzten Zeit kaum geschlafen, wie?«
»Ich habe gearbeitet.«
»An Bildern?«
»Manchmal. Wenn ich mich inspiriert fühlte.«
»Ich muß ein Geständnis ablegen«, sagte Taylor. »Aber vorher... Versprich mir, daß du nicht böse auf mich sein wirst.«
»Worum geht's?«
»Ich habe Judith von unserer gemeinsamen Nacht erzählt.«
Taylor musterte Gentle erwartungsvoll und rechnete offenbar mit Zorn. Als eine derartige Reaktion ausblieb, fuhr der Kranke fort: »Ich weiß, daß dir diese Nacht nicht viel bedeutet hat.
Aber ich erinnere mich gut daran. Stört es dich, daß Judy davon weiß?«
Gentle zuckte mit den Schultern. »Sie war bestimmt nicht sehr überrascht.«
Taylor hob die Hand, und Zacharias griff danach. Der Kranke versuchte, fest zuzudrücken, aber auch seinen Fingern fehlte die Kraft. Gentle fühlte die kalte Haut.
»Du zitterst«, stellte Taylor fest.
»Ich habe einen leeren Magen, und zwar schon seit einer ganzen Weile.«
»Du solltest dich nicht auf diese Weise vernachlässigen.
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Immerhin bist du ein sehr beschäftigter Mann.«
»Manchmal muß ich mich ein wenig
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