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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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wie sie dalag, musste sie sehr große Schmerzen durchgestanden haben, ehe sie von einer gnädigen Ohnmacht erlöst wurde. Ihr Bauch jedenfalls war wieder flach wie der einer Nichtschwangeren. Von dort, wo sie lag – besser gesagt: aus ihrem Unterleib – führte so etwas wie eine blutige Schleimspur ins vielleicht zwanzig Meter entfernte Wasser. Man hätte meinen können, dass die Fruchtblase, die die Flüssigkeit in ihrem Bauch gesammelt hatte, geplatzt sei und ihr Inhalt sich am abschüssigen Ufer bis ins Meer ergossen habe. Das Entsetzliche daran aber war: Diese Schleimspur verlief keinesfalls so, wie es eine abwärtsrinnende Flüssigkeit getan hätte. Sie schlängelte sich nicht zwischen den Felsen hindurch, sondern führte über Gestein und Felsstufen, die zum Teil über einen Meter hoch aufragten. Ich habe keine Ahnung, was die Röntgenaufnahmen in Naunas Bauch gezeigt hatten. Eines weiß ich jedoch mit Sicherheit: Das, was damals aus ihrem Unterleib geschlüpft war, war nicht der Schwerkraft folgend ins Meer geflossen. Es war etwas Lebendiges gewesen, das zielstrebig seinen Weg zum Wasser gesucht hatte.«
    Mir wurde kurz schwarz vor Augen. Das Rauschen aus dem Lautsprecher des Funkgeräts schien zu einem infernalischen Brausen anzuschwellen, das mir jeden vernünftigen Gedanken aus dem Kopf zu ziehen schien. Zum Glück stützte ich mich mit beiden Ellbogen auf dem Tisch ab, sonst wäre ich wahrscheinlich auf dem Stuhl zusammengesackt.
    Ich wagte nicht, einen Blick über meine Schulter zu werfen. Ich hätte die Blicke der restlichen Anwesenden nicht ertragen; ihr ungläubiges Starren, ihre angeekelten Mienen, ihre anklagenden, brandmarkenden Blicke und Gedanken. Es ist dein Kind, Akademiker! Dieses Gallertmonster unter dem Eis ist dein zehnjähriges Kind!
    »Silis?«, ließ Hansens Stimme mich zusammenschrecken. Ich brauchte eine Weile, um meine eigene Stimme wiederzugewinnen. »Ja?«
    »Was ist mit Nauna?«
    Ich starrte das Mikrofon so lange an, bis es vor meinen Augen zu verschwimmen drohte. Dann antwortete ich tonlos: »Sie ist …«
    Just in diesem Augenblick fiel der Strom aus. Die Lampen erloschen, sämtliche Monitore wurden schwarz und die Funkverbindung brach mitten im Satz zusammen. »… tot«, erklang meine Stimme noch in der unvermittelten Stille. Der Funkraum lag im Zentrum des Hauptblocks und war von Containern umschlossen. Es gab keine Fenster nach draußen, daher standen und saßen wir von einem Augenblick zum anderen in vollkommener Dunkelheit. Für Sekunden war ich ebenso irritiert wie alle anderen. Ich hörte das Rascheln von Kleidung und Hagens gemurmelte Verwünschungen, dann knipsten er und Rijnhard kurz nacheinander zwei Feuerzeuge an. DeFries wollte schon nach seinem Handfunkgerät greifen, als durch das relativ dünne Containerdach ein dumpfes Krachen von draußen erklang.
    »Was zum Teufel …?«, zischte DeFries. Er zog sein Funkgerät aus seinem Anorak und rief: »Stomford, was geht dort draußen vor sich?« Doch er bekam keine Antwort. Statt dessen hörten wir ein weiteres Krachen, begleitet von einem reißenden, metallischen Geräusch, das klang, als würde die Schneeraupe von einer Schrottpresse zermalmt werden. Maqi hatte eine Mag-Lite angeknipst und erleuchtete den Raum. Auch Rijnhard hatte aus einer der Schreibtischschubladen eine dünne Stablampe gezogen und strahlte damit nacheinander in unsere Gesichter. »Tove, Rossen, antwortet!«, rief DeFries.
    Nun hörten wir auch die Hunde. Ihr schauerliches Bellen, Heulen und Jaulen drang nur undeutlich an unsere Ohren, aber sie machten einen unglaublichen Radau. Rijnhard sah uns an, dann keuchte er: »Chapmann!«, und stürzte aus dem Raum.
     
    In der Frontseite des Infra-Blocks klaffte ein gewaltiges Loch, das aussah, als habe eine Explosion die Containerwand zerrissen. Dunkler Rauch quoll aus der Öffnung, hinter der sich der Dieselgenerator befinden musste. Der Qualm vernebelte die Schneise zwischen Infra- und Hauptblock, und ich glaubte, im Generatorraum Flammen zucken zu sehen. Unweigerlich musste ich an die knapp zwanzigtausend Liter Dieselkraftstoff denken, die in den Tankcontainern lagerten. Falls sich die Leitungen zu den Tanks entzündeten, flog hier alles in die Luft.
    Ich war Rijnhard als erster nach draußen gefolgt. Zumindest hatte ich geglaubt, dass der Arzt ins Freie gerannt sei. Bei einem ersten raschen Rundblick konnte ich ihn jedoch nirgendwo entdecken. Im Sekundentakt erschienen kurz darauf Hagen, Maqi, DeFries

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