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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Nachtruhe hatte man in diesem Teil der Welt anscheinend noch nie etwas gehört. Dass die Sonne zu dieser Jahreszeit über sechs Wochen lang nicht unterging, akzeptierte ich nicht als Entschuldigung. Das Knattern des Rotors riss urplötzlich ab, und gespenstische Stille legte sich über das Lager. Irritiert und wütend stand ich auf und sah aus einem der dicken Plexiglasfenster. Kein Helikopter war jenseits der Scheibe zu sehen, ebenso wenig ein Transportcontainer. Alles war einförmig weiß.
    Hansen musste sein Fluggerät direkt in den Krater gesenkt haben, was auch das Abreißen des Schalls erklären würde. Verschlafen erledigte ich meine Morgentoilette, kleidete mich an und schlang ein Frühstück mit aufgewärmtem Kaffee hinunter. Der Luftdruck war extrem niedrig, was sich bereits als leichter Kopfschmerz bemerkbar machte. Plötzlich brandete der Rotorenlärm wieder auf, und ein rascher Blick aus dem Fenster erlaubte mir noch, das Heck der Libelle aus meinem Sichtfeld verschwinden zu sehen. Ich packte in meinen Rucksack, was ich für eine Inspektion meines Equipments und eine erste Kraterbegehung für unentbehrlich hielt, dazu ein halbes Dutzend belegter Brote und drei Thermoskannen voll heißen Tees.
    Es war kurz vor acht Uhr, als ich die Containertür öffnete. Die Kälte ließ mich trotz meiner dicken Kleidung für einen Moment versteinern. Ich zog mir die fellgefütterte Kapuze meines Parkas ins Gesicht und lief hinüber zur Wetterstation. Es war ein perfekter Sommertag: Das Thermometer zeigte minus 29 Grad Celsius, und von Westen her wehte ein kaum merklicher, aber eisiger Wind, der mein Gesicht unter der Wollmaske erstarren und meine Augenwimpern beim Blinzeln zusammenfrieren ließ. Der Wunsch, in heißem Tee zu baden anstatt ihn zu trinken, war geboren. Die Sonne stand noch tief und tränkte die Bergflanken mit orangefarbenem Licht. Ich drehte eine Runde durch das wie ausgestorben wirkende Lager. Offenbar hatte Hansens Lärmattacke weder DeFries’ Mannschaft noch die Inuit sonderlich in ihrer Morgenruhe gestört. Ich setzte meine Schneebrille auf und stapfte hinüber zum Kraterrand.
    Ein paar Schlittenhunde kläfften, als sie mich bemerkten, und veranlassten mich, meine Schritte zu verlangsamen. Als ich die Klippe erreichte und hinabblickte, entdeckte ich meinen Container einsam auf dem Eis stehend. Auch im Krater bewegte sich keine Menschenseele. Ich schien – von den Schlittenhunden abgesehen – das einzige Wesen zu sein, das bereits zu so früher Stunde auf den Beinen war.
    Sekundenlang spielte ich mit dem Gedanken, in den Container zurückzukehren und später mit DeFries und seiner Mannschaft ein zweites, gemeinsames Frühstück einzunehmen, doch die Sorge um meine Ausrüstung drängte mich hinunter in den Krater. Die Geräte hatten einige Tausend Kilometer Reise hinter sich, ganz abgesehen von der schneidenden Kälte. Zwar war der Container hermetisch verschlossen und isoliert und würde sogar einhundert Metern Wassertiefe standhalten, aber ich wollte dennoch sichergehen, dass alles in Ordnung war. Entlang des Kraterrands wanderte ich hinüber zur Flanke des Mount Breva, wo DeFries mit seinen Leuten unmittelbar an der Bergwand eine Treppe in den Kessel geschlagen hatte. Vorsichtig stieg ich die grob ins Eis gehackten Stufen hinab, darauf bedacht, meinen Blick nie von den Füßen abzuwenden. Die Treppe war durch ein Seil gesichert, an dem ich mich krampfhaft festhielt. Es lief durch in den Fels getriebene Ösen und erwies sich beim Abstieg als durchaus lebensrettend. Ein versehentliches Ausrutschen konnte bedeuten, Hunderte von Metern haltlos die Eiswand hinabzuschlittern, bis man womöglich gegen einige der niedrigen Felskuppen geschmettert wurde, die am Rande des Kratergrundes aufragten. Der Winkel der Kraterwand mochte am Eissee noch dreißig Grad betragen. Nägel an den Sohlen meiner Stiefel verhinderten ein gutes Dutzend Mal, dass ich ausglitt und die Theorie in der Praxis bewies.
    Als ich zwei Drittel des Abstiegs bewältigt hatte, zerschnitt unverhofft Kompressorlärm die Stille. Ich erspähte die Maschine in der Nähe des Gebäudes, zusammen mit dem hünenhaften Maqi, der die Schlauchverbindung zu einem großen, dampfenden Kessel überprüfte. Als habe er mein Kommen gespürt, sah er zu mir empor. Dann lief er zu einer in die Tiefe führenden Öffnung in der Nähe des Gebäudes und verschwand darin. Kurz darauf erschien DeFries im Eingang, lief ein paar Schritte in Richtung des

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