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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Zusätzlich zu der kleinen, mobilen Elektroheizung hatte ich die Heizplatten des tragbaren Kochherdes auf Höchststufe gestellt und versuchte so, den Container aufzuwärmen. Ich fühlte mich krank.
    Eine Stunde später hielt ich das Gefühl, wegen des widerlichen Films auf meiner Haut ersticken zu müssen, nicht mehr aus. Irgendwo im Lager hatte ein Kettenfahrzeug zu rangieren begonnen, und in unregelmäßigen Abständen wurde der gesamte Wohnkomplex von dumpfen Schlägen erschüttert, als versuchten DeFries und seine Mitarbeiter eine klemmende Containertür mit einem Rammbock einzuschlagen. Gibt es Menschen, die an Agoraphobie und Klaustrophobie gleichzeitig leiden? Ich ertrug die Enge des Containers nicht mehr und fürchtete mich gleichzeitig vor der Leere der Eiswüste draußen. Schlampig in dicke Pullis und meinen Anorak gekleidet, stopfte ich frische Unterwäsche und meine Badetasche in eine Plastiktüte, schaltete die Heizplatten aus und riss mit einer Mischung aus Frustration und Wut die Containertür auf.
    Draußen war es nahezu windstill. Auch die schneidende Kälte war von der Schlechtwetterfront vertrieben worden. Die Temperatur lag um den Gefrierpunkt. Ein leichter Niederschlag schwebte wie feiner, glitzernder Puder aus dem Wolkenbrodem herab. Zwei Schlittenhunde begannen zu bellen, als die mit Verve aufgestoßene Tür gegen die Containerwand krachte. Etwa fünfzig Meter vom Infra-Block entfernt war der Helikopter niedergegangen, ein zweisitziges Lufttaxi, das aussah wie eine riesige Kaulquappe aus Glas und Aluminium. Er besaß keine Ballonkufen, was angesichts seiner Leichtigkeit kein Handicap darstellte. Neben dem Helikopter standen vier Personen, von denen ich Chapmann und Rijnhard zu erkennen glaubte.
    Die Lärmquelle nahe meiner Behausung war ein Bagger, dessen Führer dem Komplex einen neuen Wohncontainer anzugliedern versuchte. Das mit dicken Seilen an seiner Schaufel befestigte Gehäuse schwebte einen halben Meter über dem Boden, drehte sich dabei und schlug träge gegen die Containerwände des Wohnblocks, was die dumpfen Schläge verursachte. Anscheinend war man dabei, Wohn- und Arbeitsräume für Chapmann anzubauen.
    Die Duschräume waren leer, der Heißwasserboiler auch. Immerhin sorgte der noch lauwarme Guss dafür, dass dieses schleimige Gefühl von meinem Körper gewaschen wurde.
    »Woll’n se noch ’n Frühstück?«, fragte Paamit, als ich die Küche betrat. »Sind noch ’n paar frisch aufgeback’ne Brötchen da un’ heißer Kaffee. Ich mach Ihn’n dazu ’n Omelett.«
    Während des Essens lernte ich zwei weitere Mitarbeiter von DeFries kennen, einen leichenblassen, überreizt wirkenden Chemiker namens Hoeg Hagen, der scherzhaft bemerkte, er existiere gar nicht, und einen Grönländer namens Mylius, der für die Wartung der technischen Anlagen im Infra-Block zuständig war. Auf die Nennung seines Familiennamens legte Mylius wie die meisten Einheimischen keinen besonderen Wert. Er las ein Buch, das in den syllabischen Schriftzeichen der Grönländer gesetzt war, schlürfte nach jeder Seite aus seinem Kaffeepott und ließ jegliche Hektik von sich abgleiten. Vielleicht lag es an seinem braunen, faltenzerfurchten Gesicht, dass er diese Gemütsruhe ausstrahlte. Oder es waren einfach zu viele Falten, um einen unbedarften Europäer darin lesen zu lassen. Vielleicht war es gar keine Ruhe, sondern Apathie. Hagen dagegen war ein dicklicher, strohblonder Mann, dem ich zutraute, sich auf Schnee unsichtbar machen zu können, sobald er nackt den Container verließ. Er sah aus, als leide er an fortgeschrittener Anämie.
    Der Koch war der Einzige in der Station, der gesund und munter wirkte. Rijnhard trank offensichtlich, DeFries schluckte Pillen gegen Weiß-der-Teufel-was, Maqi stellte sich stumm, drei Mitarbeiter hatten die Station bereits wegen Krankheit verlassen, Jorgensen lag mit Lungenentzündung in Kopenhagen, und fast jeder, dem ich hier begegnete, sah aus, als habe er seit Wochen nicht mehr ausreichend geschlafen. Ich fühlte mich wie in einem Auffanglager für enervierte Polarwissenschaftler.
    Paamits Frühstück und der Kaffee holten zumindest mich langsam in die Welt der Lebenden zurück. Der Kopfschmerz ließ langsam nach, die Magenschmerzen waren nach einer Weile völlig verschwunden, und meine Laune stieg allmählich wieder über Normalnull.
    Grönlandzauber …
    Als ich soweit reanimiert wieder ins Freie trat, ließ der Helikopterpilot gerade den Rotor warm laufen. Chapmann selbst

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