Imagon
übrigens nicht besonders frisch aus.«
»Habe nur schlecht geschlafen.«
»Kopfschmerzen? Müdigkeit?« Ich sah ihn an, und er lächelte wissend. »Jetzt wissen Sie, was ich meinte.«
»Und Sie sind natürlich fit …«
»Natürlich. Ich arbeite ja auch nicht im Krater.«
Als ich meine alte Kleidung in meinen Container gebracht hatte und gemeinsam mit Rijnhard und Chapmann zum Kraterrand lief, fragte ich Rijnhard: »Sagen Sie, was bedeutet uttaq?«
»Günstling«, meinte der Mechaniker nach kurzem Überlegen. »Im verächtlichen Sinne, etwa wie Lakai oder Speichellecker. Wie kommen Sie darauf?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ist nicht so wichtig.«
Rijnhard hob eine Augenbraue, zuckte die Schultern und zog seine Wollmütze tiefer ins Gesicht.
»Das ist wirklich ein großes rundes Loch …« Chapmann riss sich vom Anblick des Kraters los und sah ein paar Sekunden lang zum wolkenverhangenen Mount Breva hinauf. »Weiß der Teufel, was hier runtergekommen ist, aber ein Meteorit war das nicht. Das rieche ich. Fällt Ihnen nichts auf?«
»Mir fallen hier jede Menge Ungereimtheiten auf«, murmelte ich. »Das völlig unbeschädigte Bauwerk, das fehlende Auswurfmaterial …«
»Dort unten – überall.« Chapmann beschrieb mit der Hand einen alles umfassenden Bogen. »Schon beim Betrachten der Fotografien während der Konferenz in Kopenhagen fand ich es seltsam, aber ich hatte vermutet, dass die Aufnahmen unmittelbar nach dem 11. Februar geschossen wurden. Nun muss ich erkennen, dass ich mich geirrt habe. Der Einschlag ist über vier Monate her. Das Eis müsste mittlerweile meterhoch von Schnee bedeckt sein, aber der Kratergrund sieht noch immer aus wie ein blankgeputzter Kinderarsch.«
Ich sah hinab auf den Eissee und musste unwillkürlich an das Schmelzwasser denken, das sich weigerte, auf seinem kilometerlangen Weg zur Mitte des Kraters zu gefrieren. Chapmann bückte sich, nahm eine Handvoll Schnee, formte einen Ball und warf ihn weit hinaus in den Krater. Trotzdem reichte seine Kraft nicht aus, ihn bis aufs Eis zu schleudern. Der Schneeball stürzte zweihundert Meter tiefer auf halber Höhe gegen die Kraterwand, zerbarst und wurde eins mit dem Abhang. Chapmann zuckte die Schultern. »Es ist fast, als ob sich der Schnee davor ekelt, das Eis zu berühren …«
Ich bedachte den Amerikaner mit einem knappen Seitenblick, schwieg jedoch. Statt dessen versuchte ich das Schluckloch in der Ferne auszumachen. Es war nicht zu erkennen. Dafür entdeckte ich in der Nähe des Bauwerks eine längliche, mit einer Plane abgedeckte Form, von der ich vermutete, dass es sich um den von Hansen hinabtransportierten Motorschlitten handelte.
»Wo ist DeFries?«, wandte ich mich an Rijnhard.
»Unten im Tempel, wo sonst.«
»Tempel?«, horchte Chapmann auf.
Rijnhard deutete auf das Bauwerk an der Felswand. »So nennt er diese Ruine.«
»Ich würde gerne einen Blick hineinwerfen«, sprach mir Chapmann aus der Seele.
»Dazu müssten Sie an Maqi vorbei«, erklärte der Mechaniker. Der bullige Inuit saß neben dem Kompressor auf einem blauen Plastikfass und sah zu uns herauf. »Und der wird Sie nicht durchlassen. Hat strickte Anordnung von DeFries, wer rein darf und wer nicht.«
»Was geht dort drin vor?«
»Sie schmelzen die Außenmauern frei, immer weiter abwärts an der Felswand entlang. Seit elf Tagen geht das bereits so. Keine Ahnung, wie viel sie inzwischen freigelegt haben. Zehn Meter in die Tiefe dürfte es schon gehen, vielleicht noch weiter. Die Männer arbeiten in drei Schichten à vier Stunden. Anschließend kommen sie völlig erledigt nach oben und schlafen einen halben Tag lang. Bis auf DeFries. Er ist fast immer acht, neun Stunden drin, streckt kaum mal den Kopf raus, als habe er Angst, etwas zu verpassen, und dass ohne ihn nichts mehr funktioniert. Er ist besessen von diesem Steinklotz. DeFries ist tagtäglich der erste, der unten ist, und der letzte, der wieder heraufkommt. Mit dem Krater und irgendwelchen Meteoriten hat das nichts mehr zu tun.«
»Na ja«, bemerkte ich, »dafür sind ja jetzt wir hier. Haben Sie zufällig ein Stativ für eine Kamera, oder etwas in der Art?«
Der Mechaniker wirkte einen Augenblick lang irritiert. »Wir besitzen mehrere Stative für Tachymeter und Digital-Nivelliere für topografische Aufnahmen.«
»Das dürfte genügen.«
»Eine Kamera oder einen Fotoapparat kann man darauf allerdings nicht montieren.«
»Es geht mir nur um das Stativ. Kann ich mir eines davon für ein
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