Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Beziehungsweise nicht wollen? Erst verfolgt er dich im Zug …«
»Was? Wieso soll er mich verfolgt haben?«
Nur mit Mühe unterdrückte ich das Bedürfnis, mit dem Kopf ein paarmal gegen den Fensterrahmen zu schlagen. Hätte mir auch nicht weitergeholfen.
»Der hat dich bestimmt vor der Toilette abgepasst«, sagte Jan in belehrendem Tonfall. »Der war schon seit der Abfahrt in München ganz in deiner Nähe. Hundertpro.«
»Kann sein«, sagte ich. »Aber warum bloß? Und wieso ist er danach vor mir abgehauen und hat mich nur mal kurz besucht, als ich geschlafen habe? Das passt nicht zusammen.«
Jan überlegte ziemlich lange, bevor er sagte: »Zivilfahnder. Der ist auf dich angesetzt worden, weil du Opa seine Asche geklaut hast.«
Mein Kopf näherte sich wie von selbst dem Fensterrahmen. Zur Sicherheit trat ich einen Schritt zurück. »Blödsinn. Die Polizei hat Wichtigeres zu tun, als die Asche eines alten Mannes quer durch Deutschland zu verfolgen.« Ich hoffte jedenfalls, dass dem so war.
»Wir werden schon noch herausfinden, was wirklich dahintersteckt.«
Ich lächelte. Wir. Es tat mir gut, das zu hören. Ich war nicht so allein mit der Katastrophe.
Jan hatte bereits eine neue Theorie. »Vielleicht hat er dich die ganze Fahrt lang beobachtet, um im passenden Moment Opa seine Asche zu entführen. Eine Rückentführung sozusagen.«
»Sehr witzig.« Allein seine Probleme lösen war eventuell doch besser, als einen Idioten wie meinen Bruder zu ertragen.
Jan grinste. »Und jetzt ist er hier, um Lösegeld von dir zu verlangen.«
»Blöder Knallkopp! Der wusste doch gar nichts von Opa Hermann in der Tupperdose. Bestimmt stand er rein zufällig vor der Toilette und …«
»Kröte, was ist? Kippst du jetzt um?«
»Mist«, sagte ich, ließ die Fensterbank los und sackte zu Boden. »Mist, Mist, Mist!«
Jan hockte sich neben mich. »Hey, alles okay?«
»Scheiße, nein. Meine Amnesie ist weg.«
Jan befühlte meine Stirn. »Fieber hast du nicht.«
»Lass das. Mir geht es gut. Ich will bloß meine Amnesie wiederhaben.«
»Soll ich einen Arzt rufen? Ich glaube, der alte Bostel arbeitet immer noch.«
Siegfried Bostel war seit geschätzten fünfzig Jahren der Hausarzt der Lüttjens, aber ich wusste, er würde mir nicht helfen können. Ich hatte ja nicht die Windpocken. Viel schlimmer. Mein Gedächtnis war wieder da, und ich wusste, woher ich meinen Retter kannte. Und wie ich zu Opas Urne gekommen war. Genauso deutlich wusste ich, warum ich unsere erste Begegnung unbedingt hatte vergessen wollen. Selten hatte ich mich in meinem Leben so lächerlich gemacht.
»Noch ein Schluck Ferrari?«
»Lieber nicht.« Alkohol war jetzt kontraproduktiv. Ich musste mir überlegen, was ich tun sollte, wenn man mich gleich rufen würde.
Es rief aber niemand. Papa, Oma Grete oder Großtante Marie mussten meinen Retter und möglichen Erpresser hereingelassen haben, aber die Minuten verstrichen, ohne dass ein vielstimmiges »Nele, Besuch für dich!« erschallte. Gab es doch noch eine Chance auf Rettung? Schnell rappelte ich mich auf, starrte aus dem Fenster zehn Meter in die Tiefe und lehnte mich weit hinaus.
»Denk nicht mal dran«, sagte Jan und packte mich sicherheitshalber am Blümchennachthemd. »Vor allem nicht in dem Aufzug. Ein blutiger Klumpen im Maiglöckchen-Look ist unästhetisch.«
»Das nenne ich echte Bruderliebe«, knurrte ich und trat zurück.
Jan grinste. »Hat aber geholfen. Außerdem bist du ja nicht mal für den Karl gesprungen.«
Stimmte auch wieder. Es hatte eine Zeit gegeben, da war Papa gegen meine Freundschaft mit Karl gewesen. Damals glaubte ich, er gönnte mir mein Glück nicht, was ja in der Beziehung zwischen Vätern und Töchter recht oft vorkommen soll. Mittlerweile halte ich es für möglich, dass Papa mit prophetischen Fähigkeiten gesegnet war. Er hatte seinerzeit schon gewusst, dass mir Karl eines Tages das Herz aus der Brust reißen und mit seinen grünen Gummistiefeln darauf herumtrampeln würde – oder so ähnlich.
Also bekam ich eine Zeitlang Hausarrest, und Karl verstand nicht, warum ich nicht bereit war, in dunkler Nacht zehn Meter tief in seine Arme zu springen. Auf die Idee, eine Leiter, ein halbes Dutzend Strohballen oder ein paar Freunde mit einem Sprungtuch zu organisieren, war er nicht gekommen, und so musste er auf eine Schmusestunde mit mir verzichten.
Jan hatte gemeint, so blöd könne echt nur ein Bauer sein. Ich knallte ihm eine, obwohl ich seiner Meinung war, und
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