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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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erlaubte ihm dann, mir die Haare zu frisieren. Jans Berufswunsch hatte schon mit fünfzehn festgestanden.
    »Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte ich kleinlaut.
    »Anziehen und stylen natürlich, dann sieht die Welt gleich wieder anders aus. Komm, ich helfe dir.«
    War ja klar. Für Jan konnte die Welt untergehen, nur bitte nicht in ungestyltem Zustand.
    »Und während ich dir die Haare mache, erzählst du mir, was es mit dem leckeren Typen auf sich hat.«
    »Eher springe ich doch noch.«
    »Nele«, sagte Jan. Wenn er mich beim Vornamen nannte, meinte er es ernst. »Tu nicht so, als wär’s ganz und gar katastrophal. Schlimmer als die Geschichte mit Opas Asche kann die hier auch nicht sein.«
    »Schlimmer nicht«, gab ich zurück. »Aber peinlicher.«
    »Unmöglich.« Er öffnete meinen Koffer und fischte ein paar Jeans und ein Polohemd heraus, beides von Dolce & Gabbana. Jan pfiff durch die Zähne. »Edel, edel, muss ich zugeben. Ein bisschen spießig vielleicht, aber für Nordergellersen geht es.«
    Ich verpasste ihm eine Kopfnuss und riss ihm die Klamotten aus der Hand. Dann huschte ich über den Flur ins Bad, duschte und zog mich an. Als ich zurückkehrte, fühlte ich mich frischer, aber nicht besser. Aus der guten Stube drang kein Laut nach oben. Vielleicht hatte der Besucher inzwischen meine Familie lautlos abgemurkst und würde sich gleich mit einem Schlachtermesser die Treppe heraufschleichen. Ob er heute wohl auch nach Zedern und kanadischem Himmel duftete? Ob er sich genauso gut anfühlte wie gestern im Zug? Ob ich mich nicht doch besser aus dem Fenster stürzen sollte, bevor sich auch der Rest meines Verstandes verabschiedete?
    Jan befahl mir, mich aufs Bett zu setzen, und machte sich an meinen noch feuchten Haaren zu schaffen.
    »Schieß los«, forderte er mich auf.
    Ich presste die Lippen zusammen.
    »Wie du willst. Dann verpasse ich dir jetzt einen schicken Kurzhaarschnitt.«
    Wo hatte er plötzlich die Friseurschere her?
    »Die Wahrheit oder die Locken«, fügte er hinzu.
    »Jan, bitte«, flüsterte ich.
    Er legte die Schere beiseite und begann, meine Haare mit einer Rundbürste zu bearbeiten. »Alles wird gut.« Das hatte Sissi gestern auch zu mir gesagt. Ich glaubte bloß nicht mehr dran.
    »Wird es nicht.«
    »Oh doch.« Jan wedelte mit der Bürste vor meinem Gesicht herum. »Und wenn der Mann Böses von dir will, werde ich dich verteidigen. Notfalls unter Einsatz meines kostbaren Lebens.«
    Ich schwankte zwischen Lachkrampf und Heulattacke, aber plötzlich fing ich einfach an zu reden. Fast gegen meinen Willen. »Es ist im Krematorium passiert.«
    Jan sah ehrlich geschockt aus. »Wie außerordentlich morbid.«
    »Nicht was du denkst, du Idiot.«
    »Sondern?«
    »Ein Kuss, nur ein Kuss. Oder ein paar mehr.«
    Ich schloss die Augen und kehrte zurück zu dem Moment, als Sissi mir während der kurzen Zeremonie einen Ellenbogen in die Seite gerammt hatte. »Wer ist das denn?«, hatte sie gefragt. »Dieser große Typ neben den Klageweibern? Der muss sich verlaufen haben. Oder finden hier gerade Filmaufnahmen statt?«
    Ich hatte nicht geantwortet, nur weiter zu Boden geschaut, gefangen in meinen Nebelschwaden. »Opa wollte mich besuchen, und jetzt ist er tot.«
    »Ich weiß, Nele, und das tut mir auch echt leid. Aber der da ist verdammt lebendig. Guck doch mal. Kann ich den sonst haben?«
    Da hatte ich doch den Blick gehoben, und dann war etwas geschehen, das ich bis vor drei Minuten gnädigerweise vergessen hatte. Der Mann war einen Schritt auf mich zugekommen, und ich, die ich eigentlich gerade die Urne in Empfang nehmen sollte, hatte mich in seine Arme geworfen!
    »Wie im Film!«, hatte Sissi gerufen.
    Aber mir war gar nicht bewusst gewesen, was da passierte. Aus meinem benebelten Zustand heraus hatte ich einen wildfremden Kerl abgeküsst und war von ihm voller Leidenschaft wiedergeküsst worden. Es hatte sich angefühlt, wie … wie …
    »Na, wie denn?«, fragte Jan ungeduldig. »Wie die Erfüllung all deiner geheimen Träume? Wie ein Flug zum Mond? Wie ein Shopping-Wochenende in New York mit unbegrenztem Budget?«
    »So ungefähr«, flüsterte ich und fühlte, dass ich allein bei der Erinnerung flammend rot wurde. Kurz richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Karl und die vielen tausend Küsse, die wir getauscht hatten. Keiner hatte sich so angefühlt. Andererseits war ich während meiner Zeit mit Karl auch nie vorübergehend traumatisiert gewesen, abgesehen natürlich von dem blöden

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