Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Stall bei Ernie und Bert zu verstecken, bis der Mann wieder abgefahren war, schien mir die beste Lösung zu sein.
Auf Zehenspitzen huschte ich die Treppe hinunter und vermied die vorletzte knarrende Stufe.
Ich war schon fast durch die Diele, als ich Papas Stimme vernahm. Er sprach ungewöhnlich leise; deshalb hatte ich oben auch nichts gehört.
»Ich kapier’ nicht, warum Sie hier so geheimnisvoll tun müssen. Ist doch keine große Sache. Sagen Sie mir einfach, was Sie wissen, und dann ist gut.«
Die warme Männerstimme, die mir schon richtig vertraut vorkam, antwortete: »Herr Lüttjens, Sie haben mich gebeten herzukommen, und ich bin hier. Sie müssen jedoch verstehen, dass ich Ihnen keine Auskunft in der Angelegenheit geben kann.«
Auskunft? Angelegenheit? Was ging denn hier ab? Nach Polizei klang das jedenfalls nicht. Die wäre von selbst gekommen, um mich zu verhören, und nicht auf Papas Bitte hin. Ich näherte mich leise der Tür zur Stube und lugte durch das Schlüsselloch. Von Papa sah ich das rechte Bein und ein Stück seiner Lederweste. Vom Besucher ein verflixt knackiges Körperteil.
Soweit ich es erkennen konnte, waren beide Männer der Urne auf dem Büffet zugewandt. Ich schluckte. Und wenn ich jetzt doch gleich dran sein sollte? Plötzlich stellte ich mir vor, wie ich in Handschellen abgeführt würde. Ob Karl wohl herbeigelaufen käme, um mich zu retten?
Ich beschloss, nicht verrückt zu werden, und überlegte weiter. Es mochte um Opa Hermann gehen, aber nicht zwangsläufig um mich. Der Mann war höchstwahrscheinlich nicht zufällig im selben ICE wie Opa und ich gewesen, selbst wenn er nicht von der Polizei war. Und er musste einen guten Grund gehabt haben, sich nach unserem Zusammentreffen vor der Toilettentür von mir fernzuhalten. Abgesehen von dem Kurzbesuch, während ich schlief, natürlich.
Aber wie hing das alles zusammen? Eine Weile wartete ich darauf, dass ein paar Rädchen in meinem Kopf ineinandergreifen und mir die Lösung des Rätsels präsentieren würden.
Nichts dergleichen geschah. Mir fehlten einfach zu viele Informationen.
»Ich hasse Geheimniskrämerei«, sagte Papa jetzt deutlich verärgert.
Ich auch, dachte ich.
»Bedauere.«
Offenbar drehte sich das Gespräch schon seit einiger Zeit im Kreis.
»Was soll ich meiner Tochter sagen?« Papas Stimme war um einige Oktaven gestiegen.
Ich fuhr zusammen. Es ging also doch um mich! War ich bereits aufgeflogen? Wusste Papa längst, dass ich Opa erst geklaut und dann vergessen hatte? Aber was fand er daran geheimnisvoll? Shit! Irgendwie stimmte hier überhaupt nichts.
»Bestellen Sie ihr bitte, dass ich sie heute um fünfzehn Uhr in Lüneburg erwarte.«
Wie bitte? Das wurde ja immer geheimnisvoller. Mein Retter mit den kuscheligen Augen wollte mich sehen? Wieso das denn auf einmal? Warum lief er nicht mehr vor mir weg?
Hilfe!
Ich wagte einen zweiten Blick durchs Schlüsselloch. Vielleicht stand ja irgendwo in der Bauernstube ein Teleprompter rum, der das Geheimnis in Großbuchstaben lüften würde.
Diesmal erhaschte ich nur einen Blick auf meinen Retter; Papa war offensichtlich ein Stück zur Seite getreten.
Ein schöner Anblick.
Kurzzeitig war ich etwas abgelenkt und hörte zu spät, wie der Besucher sagte: »Ich bin nur gekommen, um Ihnen mein Beileid auszusprechen, Herr Lüttjens. In der kommenden Woche werden wir gewiss alle strittigen Fragen klären. Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch einen Termin.«
Zwei Schritte schaffte ich rückwärts, bevor die Tür mit Schwung aufgerissen wurde.
Dann stand er vor mir, sehr, sehr nah, und duftete, wie er duften musste.
Eine Sekunde lang fürchtete ich wirklich, ich würde wieder über ihn herfallen, so wie bei Opas Einäscherung. Knutschorgie, die zweite.
Konnte mich gerade noch beherrschen.
Er starrte mich an und schien ebenfalls mit sich zu kämpfen. Seine Armmuskeln unter dem Hemd zuckten jedenfalls verdächtig, und in seinen Augen blitzte kurz ein helles Funkeln auf.
»Moin«, murmelte ich hilflos.
»Sehr erfreut, Liebling.«
Liebling? Alles klar.
Mein Zeigefinger an der Stirn erklärte ihm, was ich von ihm hielt.
Dann drehte ich mich um und verließ im Laufschritt das Haus.
Der Fluchtweg zu Ernie und Bert war von Oma Grete versperrt, die mir heftig zuwinkte und rief: »Nele, komm mal schnell rüber, und erklär deiner strohdummen Großtante, dass sie nicht mit zum Steinmetz fahren darf. So weit kommt das noch. Den Grabstein für meinen
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