Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
baumelte die Reklame des Hauptlieferanten, und die tief hängenden Lampen boten so wenig Licht, dass die meisten Gäste nicht weiter auf die schäbigen Möbel achteten. Wir waren beide seit Jahren nicht mehr hier gewesen, aber es hätte auch gestern sein können.
»Krass«, sagte Jan.
Ich antwortete nicht. Mein Blick war zum hinteren Ecktisch gewandert, wo unsere Clique saß.
Da hatte sich im Gegensatz zur Kneipe schon so einiges verändert, und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mit diesen fremden erwachsenen Leuten dort noch irgendwas zu tun hatte. Während meiner wenigen Besuche zu Hause war ich nie dazu gekommen, jemanden zu treffen. Ich war auch immer so kurz geblieben, dass es keine zufälligen Begegnungen gegeben hatte.
Ein dicker Mann mit gelichtetem Haupthaar stieß Karl an, der mir den Rücken zuwandte. Sofort schnellte Karl herum, sprang auf, kam auf uns zu und lächelte mich breit an. Seine hellen Augen blitzten, die widerspenstige Haarlocke hing verwegen in die Stirn, und die linke Augenbraue saß besonders weit oben. Mir wurden die Knie weich.
»Wie schön, dass du da bist, Nele. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Komm, ich habe dir einen Platz neben mir freigehalten.«
Jan stieß einen Laut aus, irgendwo zwischen Brummen und Lachen. »Ist mir auch ein Vergnügen, dich zu sehen, Karl Küpper.«
»Hey, Kleiner, komm mit. Dich quetschen wir noch mit auf die Bank.«
Ich kicherte. Jan überragte Karl um gute zehn Zentimeter, aber in dessen Augen würde er wohl immer der Kleine bleiben. So wie früher, als Jan darauf bestand, bei uns mitzumachen. Egal, ob wir mit Murmeln spielten, ausritten oder später Partys am Baggersee feierten. Der Kleine war immer dabei. Manchmal lästig, manchmal ganz lustig, meistens jedoch eher unsichtbar.
Erst jetzt fiel mir auf, dass er nie einen eigenen Freundeskreis gehabt hatte.
Weil er den Dorfjungen schon damals suspekt gewesen war? Nachdenklich runzelte ich die Stirn, während wir nun auf den Ecktisch zusteuerten. Nein, Jan war in Nordergellersen nie gemobbt worden. Weder in der Grundschule noch in der Freizeit. Nur hatte er sich wohl schwergetan, echte Freundschaften zu schließen.
Zum Glück hatte sich das geändert, als er nach Hamburg gezogen war. Ich wusste, dass er mittlerweile einen großen wunderbaren Freundeskreis besaß.
Die erwachsenen Leute an unserem Stammtisch klopften zur Begrüßung mit den Fingerknöcheln auf den runden Tisch. Hatte ich lange nicht mehr gehört, dieses Geräusch. Hörte sich gut an. Vertraut.
Karl schob mir mit großer Geste den freien Stuhl zurück. Ein bisschen fühlte ich mich wie seine Trophäe, und ich schielte besorgt zu dem eingestaubten Sechzehnender über mir hoch.
Der dicke Mann neben ihm grinste. »Welch unerwarteter Glanz in unserer bescheidenen Hütte.«
So blöde Sprüche hatte immer nur einer draufgehabt, und nun erkannte ich auch seine Stimme.
»Bolle, Tach auch.« Viel mehr fiel mir gerade nicht ein. Musste mich erst daran gewöhnen, dass der Sohn des Edeka-Filialleiters Kieling in den letzten Jahren geschätzte dreißig Kilo zugelegt hatte.
»Eigentlich sagen jetzt alle Wolfram zu mir«, erwiderte er pikiert. Er tätschelte die Hand der Frau neben ihm. Im Vergleich zu ihm wirkte sie regelrecht mager. »Silke kennst du doch hoffentlich auch noch?«
»Äh … na klar.«
Wir hatten sie damals Mücke gerufen, weil sie so klein war und weil man ihr besonders im Sommer am Baggersee nie entkommen konnte.
»Hallo«, sagte sie leise.
Das Reden übernahm wieder ihr Mann. »Wir sind verheiratet und haben sechs Kinder. Und den Aktivmarkt leite ich jetzt.«
»Toll. Herzlichen Glückwunsch.«
Sechs Kinder in dreizehneinhalb Jahren.
Mannomann!
Wie hatte die kleine Mücke das bloß geschafft?
Ich brauchte dringend was zu trinken.
Otto erhörte mich und knallte ein Bier vor mich hin. »Wat to eten?«, knurrte er. Dankbar lächelte ich ihn an. Otto hatte sich, wie seine Kneipe, nicht verändert. Er hatte schon, seit ich denken konnte, eine Glatze gehabt und war immer noch dünn wie ein Wanderstock. Ein Mann der vielen Worte war er auch nie gewesen.
»Strammer Max, bitte. Am besten gleich zwei. Du auch, Jan?«
Mein Bruder hörte mich nicht. Er war ganz auf den jungen Mann neben sich konzentriert. Der kam mir vage bekannt vor.
»Mach uns erst mal drei stramme Mäxchen«, bat ich Otto. »Dann sehen wir weiter.«
Der Wirt zog ab, und ich betrachtete Jans Banknachbarn. In dieser Runde eher normal
Weitere Kostenlose Bücher