Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
zeigten sich schon erste Lichtstreifen am Himmel. Trotzdem hatten wir vor, um acht Uhr nach Hamburg zu fahren.
Zwei Stunden Schlaf?, dachte ich noch, während mir schon die Augen zufielen. Aus dem Alter war ich schon eine Weile raus.
Trotzdem stand ich auf, als um kurz nach sieben mein Wecker klingelte, und ich fühlte mich gar nicht mal so schlecht. Offenbar konnte man doch vorschlafen, und mein gestriger Murmeltiertag hatte mich für die vergangene Nacht gestärkt. Sissi und ich hatten diese Möglichkeit vor langen Partynächten schon ausprobiert. Hatte eigentlich nie geklappt.
Unter der Dusche wurde ich vollends munter, und als ich eine Viertelstunde später die Treppe hinunterlief, pfiff ich fröhlich ein Lied vor mich hin. Heute würden wir Opa heimholen, und Mama gleich mit. Morgen würde Paul Liebling zur Beerdigung kommen und mir in einer ruhigen Minute erklären, dass er all seine traumatischen Erlebnisse vergessen habe und mich für alle Zeiten lieben wolle. Jawohl! So etwas nennt man die Kraft des positiven Denkens. Karl und meine unübersichtlichen Gefühle für ihn blendete ich dabei aus. Die Tatsache, dass in Dubai ein Traumjob auf mich wartete, auch.
Über mir am Treppenabsatz erklang Jans gequälte Stimme. »Würdest du bitte damit aufhören, Schwarzbraun ist die Haselnuss zu pfeifen?«
Ich verstummte.
Nicht für lange.
Zehn Sekunden später betrat ich die Küche, sah, wer dort mit Grete und Marie am Tisch saß, und stieß einen hellen spitzen Schrei aus.
»Willst du meine Hörnerven für immer schädigen?«, erkundigte sich Jan und kam hinter mir herein.
Er schrie nicht auf, aber er stieß hörbar die Luft aus. »Sag, dass das nicht die Frau ist, von der ich fürchte, dass sie es ist«, raunte er mir zu.
Mir stand nicht der Sinn nach kompliziertem Satzbau.
»Frau … äh … Kowalski«, stammelte ich.
Grete und Marie wussten Bescheid. Kein Zweifel. Beide sahen aus, als wäre ihnen ein Geist begegnet beziehungsweise die Asche eines Verstorbenen in einer Tupperdose.
»Frau Lüttjens«, erwiderte Hertha Kowalski unglücklich. »Guten Morgen. Es tut mir leid, dass ich so früh störe, aber nachdem ich gestern Abend aus dem Krankenhaus entlassen worden bin, konnte ich nicht schlafen. Da habe ich gleich den Frühzug nach Lüneburg genommen. Am Bahnhof erfuhr ich dann, dass ich nur mit dem Taxi hierher gelangen konnte, wenn ich nicht auf den Überlandbus um acht Uhr dreißig warten wollte …« Sie merkte, dass sie abschweifte, und verstummte schlagartig.
Marie neben ihr weinte leise vor sich hin, Grete auf der anderen Seite war so dunkelrot im Gesicht, dass ich um ihren Blutdruck fürchtete.
Heino schwieg im Kassettenrekorder.
Jan auch in der Küche.
Vorsichtig machte ich ein paar Schritte auf den Tisch zu.
Jan blieb wie ein Leibwächter dicht an meiner Seite. Man konnte ja nicht wissen, ob mir nicht gleich etwas an den Kopf fliegen würde. Ein Blumentopf oder der alte Kassettenrekorder oder die Tupperdose.
Opa!
Ein grauer Schleier tanzte plötzlich vor meinen Augen, und ich musste mich ganz schnell setzen.
Jan schnappte sich einen Stuhl und schob ihn mir unter den Po, bevor ich auf dem Fußboden landete.
Dann bewies er wahren Heldenmut.
»Bevor wir hier jetzt alle ausrasten, koche ich Kaffee, einverstanden?«
»Das wäre wundervoll«, erwiderte Hertha Kowalski.
Marie schniefte.
Grete stieß ein Schnauben aus.
Ich stierte auf die Tupperdose und stellte fest, dass sie sehr leicht geworden war. Sie schien sich vor meinen Augen vom Tisch zu erheben und hoch durch die Luft zu schweben.
»Nele!« Jan verpasste mir eine Ohrfeige.
Ich kam wieder zu mir.
»Geht’s?«
»Alles gut«, sagte ich.
Die Kaffeemaschine blubberte, Jan holte die Brötchentüte herein, die der Bäckerjunge jeden Morgen vor unserer Tür ablegte, und begann das Frühstück anzurichten.
»Wir können doch nicht frühstücken, wenn Hermann da steht«, wimmerte Marie.
»Stimmt.« Jan griff nach der Tupperdose, alle Frauen am Tisch kreischten auf, ich eingeschlossen.
»Keine Panik, Ladys. Ich bringe ihn nur rüber ins Wohnzimmer. Wir können ihn ja nachher in die Urne umtopfen … ich meine umschütten. In einer feierlichen Zeremonie oder so was.«
Ein hysterisches Lachen stieg in meinem Hals hoch. Ich schluckte krampfhaft.
»Mein Anton, Gott hab ihn selig, hat auch so ausgesehen«, sagte Hertha.
»Grrmpf.«
»Nele.« Jan kniff mich in den Arm. »Jetzt reiß dich mal zusammen.«
Hertha bekam von meiner
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