Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Im Gegenteil. Schon sah ich Karl noch viel deutlicher vor mir. Splitternackt wie vorhin am Baggersee, ohne Fältchen um die Augen, über mir, auf mir, in mir.
»Hier kommt Ferrari-Flasche Nummer zwei!«, tönte Jans Stimme von unten herauf.
Mein Bruder, mein Retter. Die Erinnerung verzog sich tiefer ins Heu.
»Wie viele Flaschen hast du denn mitgebracht?«, fragte ich, froh, dass meine Stimme einigermaßen normal klang.
Jan kam die Leiter heraufgeklettert und reichte mir zwei Sektgläser. Dann ließ er sich neben mich ins Heu sinken. »Drei. Aber die letzte wird nicht angerührt. Die ist für den absoluten Notfall.«
Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass wir Ferrari Nummer drei auch noch köpfen würden.
Der absolute Notfall?
War bestimmt machbar.
Jan entkorkte die Flasche mit einem leisen Plopp und schenkte uns ein.
Wir prosteten uns zu, sahen uns an und grinsten.
»Das war ein Spaß vorhin«, sagte er.
»Na ja.«
»Was war eigentlich bei dir los? Ist Karl dir an die Wäsche gegangen?«
»Ich hatte keine an.«
Jan prustete mir einen Schluck Prosecco ins Gesicht.
»Igitt!« Aber ich musste auch lachen.
»Und dann?«, fragte Jan schließlich.
»Hat er mich geküsst.«
»Gut?«
»Hm.«
»Aber warum war Karl plötzlich so sauer? Ich habe nur gesehen, wie er aus dem See gestapft ist.«
»Ich habe Paul zu ihm gesagt.«
Jan hatte zum Glück noch nicht wieder getrunken.
Er sperrte den Mund weit auf.
»Nein!«
»Doch.«
»Übel.«
»Genau.«
Mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Diesmal konnte Jan gefahrlos trinken, denn ich schwieg dumpf vor mich hin.
»Der Hans-Dieter ist nett«, sagte er nach einer Weile. »Ganz anders als früher, als er immer nur Blödsinn im Kopf hatte.«
Froh über die Ablenkung, nickte ich.
»Geht da was?«
»Wer weiß?«
Mir konnte er nichts vormachen. »Jan, komm schon. Ihr wart den ganzen Abend zusammen.«
Er trank lieber.
»Ihr habt über Haarspray geredet.«
Kein Kommentar.
»Und über Enthaarungscremes!«
»Äh, ja.«
Ich grinste.
Jan grinste.
Der Moment war günstig. »Willst du mir nicht erzählen, was mit Eike passiert ist?«
Jans Mundwinkel bogen sich nach unten.
Doch keine so gute Idee.
»Entschuldige.«
»Nein, ist schon gut. Eigentlich ist es eine total banale Geschichte. Kommt in den besten Familien vor. Aber für mich war es echt der Hammer.«
»Erzähl.«
Jan zögerte noch einen Moment. Dann holte er tief Luft und begann mit leiser Stimme zu berichten. »Letzten Samstag haben wir im Salon wie immer bis um sechs gearbeitet. Danach habe ich Eike gefragt, ob wir noch etwas trinken gehen wollten. Ich hatte wirklich keine Hintergedanken. Mir war nur danach, noch eine entspannte halbe Stunde mit ihm zu verbringen. Es war ein hektischer Tag gewesen, und es hätte mir gutgetan, ein bisschen mit ihm zusammen zu sein. Wir hatten schon seit einer Ewigkeit keine private Minute mehr miteinander verbracht. Ein schönes Glas Wein zum Ausklang der Woche. Mehr verlangte ich gar nicht.«
Ich ahnte, was kommen würde, schwieg jedoch.
Jans Stimme verlor an Kraft. »Eike hat abgelehnt. Er müsse heimfahren. Seine Frau habe Freunde zum Abendessen eingeladen, und er sei schon spät dran. Ich war enttäuscht und ging allein zu meiner Lieblingskneipe, aber vor der Tür habe ich es mir noch einmal anders überlegt. Einer meiner Stammkunden hatte mir am Vormittag von einem neuen Lokal erzählt. Keine reine Schwulenkneipe, meinte er, aber doch ein beliebtes Ziel Gleichgesinnter. Sehr nett und gepflegt. Ich habe mich entschlossen, dahin zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen.«
Ich hatte doch nicht geahnt, was kommen würde.
Jetzt ahnte ich’s schon.
Voller Mitgefühl griff ich nach seiner Hand. Sie war eiskalt.
»Eike war dort. Er saß an der Theke und war mit einem jungen Mann ins Gespräch vertieft.«
Jan verstummte.
»Es war mehr als nur ein Gespräch, nicht wahr?«, hakte ich vorsichtig nach.
»Sie hielten sich an den Händen und schauten sich tief in die Augen.«
Ich wollte ihn an mich ziehen und in meinen Armen wiegen, so wie früher, wenn er sich das Knie aufgeschürft hatte oder heulend im Schulbus saß, weil die anderen Jungen ihn wieder mal gepiesackt hatten.
Aber ich sah, wie er um Fassung rang und um seinen Stolz kämpfte. Eine schwesterliche Umarmung war da jetzt nicht drin. Vielleicht später.
»Shit«, murmelte ich.
Mehr gab es nun wirklich nicht mehr zu sagen.
Wir tranken.
18.
Opas Asche kehrt heim
Als wir endlich ins Bett kamen,
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