Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Anfang der Achtziger durchsetzen wollen, dass unser Dorf in Storchengellersen umbenannt wurde.
Nee, ne?
Während ich noch überlegte, was Pastor Gräve wohl zu meinen Anekdoten über Opa sagen würde, war er schon wieder weg.
Ich hätte ihm ohnehin nichts erzählt. Unsere wahre Familiengeschichte ging niemanden etwas an. In diesem Punkt war ich eine echte Lüttjens.
Als ich mich wieder zu meinen Eltern umdrehte, waren sie verschwunden. Upps! Die waren jetzt aber nicht wirklich in unseren Stall gegangen, oder?
»Wo sind denn Mama und Papa hin?«, fragte ich laut in die Runde.
»Sie wollten mal frische Luft schnappen«, informierte mich Grete. Sie und Marie saßen immer noch beieinander. Keine schien das Bedürfnis zu verspüren, sich unter die anderen Trauergäste zu mischen.
»Hermann würde das nicht wollen«, sagte Marie, als hätte es die kurze Unterbrechung nicht gegeben.
»Woher willst du das wissen?«, keifte Grete. »Er war mein Mann, und ich kenne seine Wünsche.«
Ich stöhnte auf. Ein neuer Streit, worum auch immer. Vielleicht ging es um den Grabschmuck, vielleicht um Opas persönliche Sachen.
Keine Ahnung.
Es kam auch gar nicht darauf an, erkannte ich plötzlich. Nicht der Inhalt eines Streits war für Grete und Marie so wichtig, sondern der Streit an sich. Ganz so, als hielte er sie zusammen, jetzt, da der Mittelpunkt ihres Lebens nicht mehr da war.
Ich stand auf, beugte mich zu ihnen hinunter und gab beiden einen dicken Kuss auf die Wange. »Ihr zwei seid die Besten.«
»Nun werd man nicht melanklüterig«, brummte Grete ungehalten, aber ich sah genau, wie sie sich schnell über die Augen wischte.
Marie drückte nur stumm meine Hand.
Ich setzte mich wieder auf meinen Platz. Große Platten mit Butterkuchen wurden hereingetragen, und mir lief das Wasser im Munde zusammen. Ich schaffte es, zwei Stück zu essen, bevor Grete mir sagte, was sie zu sagen hatte. Was sie wahrscheinlich schon seit Tagen loswerden wollte. Ihre Miene drückte Entschlossenheit aus.
Das machte mir Angst.
Zu Recht.
»Es wird Zeit, dass du heimkommst, Nele. Du gehörst nach Nordergellersen auf den Lüttjenshof. Nicht nach München oder sonst wohin.«
»Dubai«, murmelte ich und wischte mir ein paar Kuchenkrümel aus den Mundwinkeln.
»Wat?«
»Äh, nichts. Wie kommst du darauf, dass ich wieder hier leben will?«
»Wer redet von wollen? Das Leben ist kein Wunschkonzert. Hier ist dein Platz.«
»Aber ich bin gern in München.« Und demnächst in Dubai.
»Dumm Tüch!«
Marie nickte dazu.
Schön, dass sie mal einer Meinung waren, weniger schön, dass es auf meine Kosten ging.
»Wer soll denn sonst den Ferienhof führen, wenn Olaf hinschmeißt?«, fragte Grete.
Aha. Sie hatte gut zugehört vorhin.
»Das würde Papa niemals tun.«
»Da sei dir man nicht so sicher. Dem Olaf ist alles zuzutrauen.« Das war ein Seitenhieb gegen Marie, den ich nicht verstehen sollte.
Tat ich aber doch und beschloss, Grete zu ärgern. »Du hast aber keine hohe Meinung von deinem Sohn.«
Das saß. Grete verfiel für einen Moment in Schweigen, und sie guckte wieder genauso komisch wie vorhin, als sie Papas Seitenblick auf Marie eingefangen hatte. Ich nutzte die Zeit, um mir gute Argumente zurechtzulegen, die für mein Leben fern der Heide sprachen.
Hm.
Fand bloß keine.
Nicht mehr.
Nun, da ich die Gewissheit hatte, keine geborene Lüttjens zu sein, fühlte ich mich dieser Familie mehr verbunden als je zuvor.
Ganz schön bekloppt.
Aber es fühlte sich wirklich so an.
Ich schüttelte den Kopf und zählte im Geiste auf, was mich an meinem Leben in München so faszinierte. Die Karriere im Luxushotel – okay, hatte in den letzten Jahren ein bisschen an Reiz verloren. Die Partys, das Stadtleben – na ja, darauf konnte ich auch verzichten.
Diese langen Jahre fern von meiner Familie, was waren sie gewesen? Nur eine Luftblase, kein wirkliches Leben?
Doch, natürlich. Ein Leben sogar, das mir gefallen und das ich ausgekostet hatte. Aber auch ein Leben in der Warteschleife.
Ja, genau. Ich glaube, ich hatte immer nur auf etwas gewartet. Auf die Beförderung, auf den Winterschlussverkauf, auf eine neue große Liebe. Aber würde es in Nordergellersen nicht genauso sein?
Nicht, wenn du Paul Liebling heiratest, sagte eine Stimme, die sich frech in meinen Kopf geschlichen hatte. Ich brachte sie mit einiger Mühe zum Schweigen.
Außerdem, wer wusste es schon? Auch wenn ich Paul Liebling heiratete, so würde ich vielleicht doch wieder nur
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