Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
seit dreizehneinhalb Jahren nicht die Bohne darum gekümmert hatte? Die schwarze Heidschnucke der Familie Lüttjens?
Musste ein Irrtum sein.
»Dieser verflixte Korn«, sagte Paul. »Frau Hansen hat behauptet, ich müsste nach jeder Rede einen mittrinken. Alles andere wäre unhöflich. Ich habe zwar die meisten Gläser in einen Blumentopf geleert, aber den einen oder anderen muss ich doch getrunken haben.«
Ich hörte gar nicht richtig hin.
Der Lüttjenshof sollte zur Hälfte mir gehören. Das war – erschreckend. Und – der helle Wahnsinn. Und – einfach wunderbar.
Opa, dachte ich, da hast du mir aber was eingebrockt!
Ich sah den alten Mann vor mir, wie er sich ins Fäustchen lachte.
Verdammt!
Er hatte mich gut gekannt. Er hatte genau gewusst, wie er mich ködern musste.
Mit Besitz.
Mit Haus und Hof.
Grete mochte mir noch so sehr ins Gewissen geredet haben, ich wäre vermutlich trotzdem wieder abgereist. Schuldbewusst, aber entschlossen. Papa mochte versuchen, mich mit den Plänen für den Stallausbau wieder für den Ferienhof zu interessieren, ich hätte mich von meinen Karriereplänen nicht abbringen lassen.
Opa war klüger gewesen.
Opa hatte mich am Haken.
Was kümmerten mich noch eine schicke Dachwohnung in München oder ein gemietetes Penthouse im fernen Dubai, wenn ich ein großes niedersächsisches Hallenhaus mein Eigen nennen konnte?
Na gut, mein halbes Eigen.
Im Geiste machte ich mir eine Notiz: Headhunter benachrichtigen, Stelle absagen.
Zweite Notiz: Stallausbau. Mit Papa reden. Mir schwebte da auf einmal etwas anderes, etwas Größeres vor.
Paul kehrte mit einem Räuspern in mein Bewusstsein zurück.
»Frau Lüttjens …«
»Wer erbt denn die andere Hälfte?«
Er schwieg und setzte ein undurchdringliches Anwaltsgesicht auf.
Konnte mich nicht abschrecken. »Kommen Sie schon. Jetzt ist es doch auch egal. Und ich schwöre, ich werde bis Montag schweigen.«
Sicherheitshalber kreuzte ich Zeige- und Mittelfinger hinter dem Rücken. Möglicherweise musste ich diese Information doch noch anbringen. Um Papa vor einem Herzinfarkt in der Kanzlei Liebling & Meyer zu bewahren, zum Beispiel.
Ich sah, wie Paul mit sich rang, aber schließlich sagte er: »Die andere Hälfte wird zu gleichen Teilen zwischen Ihrem Vater und Ihrem Bruder aufgeteilt.«
Hm. Was Papa wohl davon halten mochte? Ich an seiner Stelle wäre schwer eingeschnappt gewesen. Da hatte er sich jahrzehntelang auf dem Hof abgerackert, während die Kinder das Weite suchten, und nun wurde er mit einem Viertel seines Erbes abgespeist.
Ziemlich starker Tobak.
Hoffentlich würde ich ihn milde stimmen können, wenn ich ihm versprach, mit ihm gemeinsam den Ferienhof zu führen.
Paul räusperte sich wieder. »Ich habe meine Schweigepflicht gebrochen. Das ist unverzeihlich.«
»Ach was«, sagte ich leichthin, stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. »Sie haben genau das Richtige getan. Und Sie haben mir sogar sehr geholfen. Montag wäre vielleicht schon alles zu spät gewesen.«
Montag hätte ich schon den Vertrag für Dubai unterschrieben.
Mist!
Das mit dem Kuss hätte ich wohl lieber bleiben lassen sollen.
Jetzt brannten meine Lippen, und Paul Liebling stand stocksteif da und starrte mich an. Das Anwaltsgesicht hatte dem Mienenspiel eines entsetzten Mannes Platz gemacht. Sah für mich jedenfalls so aus.
Verständlich. Wer wird schon gern von einer Frau mit merkwürdigen Familienverhältnissen geküsst?
Dieser Mann nicht.
»Entschuldigung«, sagte ich schnell.
Ohne seine Reaktion abzuwarten, drehte ich mich um und ging zurück in den Festsaal. Opas Brief zerknüllte ich dabei in der Hand und steckte ihn dann in die Tasche meiner Kostümjacke. Ich würde ihn noch lesen, später irgendwann. Aber nun wusste ich ja endgültig, was drinstand. Opa hatte der Testamentseröffnung vorgreifen und mich schon auf mein Erbe hinweisen wollen. Als hätte er geahnt, wie eilig die Angelegenheit sein würde.
Kluger Opa.
Dumme Nele.
Schon wieder bildete ich mir ein, den Inhalt des Briefes zu kennen.
Schon wieder irrte ich mich gewaltig.
Jan hielt mich auf, als ich an der langen Tafel entlang zurück zu meinem Platz ging. Bisher hatte ich noch keinen Alkohol getrunken, aber einen klitzekleinen Köm wollte ich mir nun doch gönnen.
Auf das Erbe.
Oder Prosecco?
Ach nein, Köm passte schon zu einem Heidehof. Und ich war mir auf einmal sicher, dass er mir wieder schmecken würde, zum ersten Mal, seit
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