Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
bemerkte, wie Marie erleichtert aufseufzte und dann ihrer Schwester zulächelte.
Grete schien darüber außerordentlich überrascht zu sein, und sie lächelte natürlich nicht zurück. Immerhin – die beiden Schwestern standen nebeneinander, und keine rückte von der anderen ab. Ich fand auch, dass Marie neben Grete nicht mehr ganz so gebrechlich wirkte. Das freute mich.
Pastor Gräve sprach von einer langen Lebensodyssee, die nun zu Ende ging, und Jan neben mir murmelte: »Odyssee kommt hin. Besonders in den letzten Tagen.«
Papa warf ihm einen strafenden Blick zu, aber seine Mundwinkel zuckten.
Ich stellte fest, dass rechts und links zwei Grabstellen frei waren, und als die Zeremonie vorbei war, erfuhr ich, wer dort eines Tages liegen würde.
War keine Überraschung.
»Mein Platz ist links von meinem geliebten Hermann«, erklärte mir Grete auf dem kurzen Weg zum Heidekrug. »So wie es sich gehört.«
»Ich werde auf der anderen Seite liegen«, sagte Marie leise.
»Ja«, brummte Grete. »Nicht mal im Tod kannst du uns in Ruhe lassen.«
Marie richtete sich auf. »Es ist mein einziger Wunsch.«
»Schon gut«, kam es gebrummt zurück. »Ich denke, Hermann wird es freuen.«
Erstaunt starrte ich Grete an. Hatte sie das eben wirklich gesagt?
Auch Marie wirkte verblüfft. »Danke«, flüsterte sie zaghaft.
Grete war ihr eigener Großmut wohl nicht geheuer. »Und fang beim Essen bloß nicht an zu heulen«, sagte sie barsch zu ihrer Schwester. »Das war in der Kirche schon peinlich genug.«
Okay, die Welt war wieder in Ordnung.
Mein Platz im Festsaal des Heidekrugs war am Kopfende der U-förmig angelegten Tafel, bei der Familie. Irgendwo ganz am anderen Ende saß Paul Liebling, eingerahmt von ein paar neu zugezogenen Dorfbewohnern, die Opa Hermann nicht gekannt hatten, sich aber einen zünftigen Leichenschmaus nicht entgehen lassen wollten.
Ich vermied es, in Pauls Richtung zu schauen.
Links von mir saß Jan, dann kamen Mama und Papa, Grete und Marie. Sissi saß rechts von mir, sozusagen am Rande der Familie und doch dazugehörend. Schien ihr zu gefallen, zumal neben ihr wiederum Karl Küpper Platz genommen hatte.
Sie kam kaum dazu, ihre Buchweizensuppe zu löffeln, so sehr war sie damit beschäftigt, mit Röntgenblick Karls dunklen Anzug zu durchbohren. Ich hatte ihr von dem Vorfall am Baggersee erzählt, und nun stellte sie sich den nächtlichen nackten Karl offensichtlich bildlich vor.
»Benimm dich«, zischte ich ihr zu. »Das ist eine Beerdigung und keine Singleparty.« Sissi grinste und guckte weiter. Dann begann sie, Karl in ein Gespräch zu verwickeln, das jedoch immer wieder ins Stocken geriet. Fernreiseziele und Münchener Szenelokale waren nicht so Karls Themen. Seine Beiträge beschränkten sich auf ein gemurmeltes »Interessant« oder ein Kopfnicken. Das schien Sissi nicht weiter zu stören, denn sie plauderte munter weiter.
Als die Suppenteller abgeräumt waren und der Heidschnuckenbraten aufgetragen wurde, begannen auch die Reden zu Opas Ehren, und dazu gab es natürlich für jeden Gast ein Gläschen Köm zum Anstoßen.
Überrascht stellte ich fest, wie hungrig ich war. Nachdem mir vorübergehend der Appetit vergangen war, kehrte er nun mit voller Wucht zurück.
War vielleicht ein Zeichen der seelischen Heilung. Ich ließ mir Nachschlag geben, während Sissi ihren nächsten Köm kippte.
Die meisten Gäste taten es ihr nach, und so geriet der Leichenschmaus nach und nach zum fröhlichen Fest. Aus dem kleinen Saal nebenan mischten sich Fremde unter die Gäste. Ich hörte den einen oder anderen Berliner Ausdruck und schloss, dass es sich um eine Gruppe Touristen handelte. Die Einheimischen füllten die Berliner kräftig ab, und die Stimmung stieg.
»Das hätte Opa gefallen«, sagte Jan zu mir. »Eine wilde Party zu seinen Ehren.« Dann stand er auf, um sich zu unserer alten Clique zu gesellen. Genauer gesagt, zu Hans-Dieter. Ich ahnte, dass er dort so schnell nicht wieder weggehen würde.
Mist.
Hatte vergessen, ihn zu bitten, sich von Paul Liebling den Brief geben zu lassen.
Überall an der langen Tafel wurde nach und nach die Sitzordnung aufgehoben. Nur Sissi rührte sich nicht. Sie saß bereits dort, wo sie sitzen wollte. Fast auf Karls Schoß, wie ich feststellte.
»Pass bloß auf mit dem Schnaps«, sagte ich. »Den bist du nicht gewöhnt.«
Sissis Blick war ein ganz klein bisschen glasig. »Isch vertrach schon wasch.«
Ja, klar.
Ich sah mich weiter um. Andere Leute hielten
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