Immer diese Gespenster
davon ans Tageslicht bringen können, indem sie auf ihre dummen Karten starren, oder...»
«Ja», sagte Meg gespannt, «oder?»
«Oder daß die Karten eine andere Wirkung haben», schloß er.
«Daß sie Mrs. Taylor ausschalten und ein anderes Wesen einschalten.»
Meg blickte ihren Stiefbruder mit weit geöffneten Augen an. «Sandro», flüsterte sie, «ich habe Angst um dich. Sie hat doch gesagt, du seiest in Gefahr.»
«Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen», erklärte Hero. «Ich werde schon aufpassen. Aber etwas wird geschehen, wenn ich es nicht verhindern kann. Jemand trachtet Susan Marshall nach dem Leben, und ich weiß nicht wer, oder wann und wie es geplant ist. Ich komme mir so hilflos vor.»
Meg schob ihren Arm unter den seinen. «Laß dich nicht entmutigen, Sandro. Du darfst nicht nachgeben. Du bist der einzige, der hier etwas ausrichten kann. Selbst ich weiß nicht mehr, wie ich dir helfen könnte.»
Hero streichelte ihre Schultern und sagte: «Ich danke dir, Hexe.» Er küßte sie leicht auf die Stirn und wandte sich zur Tür.
«Wohin gehst du?» fragte sie.
«Zurück in das verdammte Musikzimmer», entgegnete er und ging hinaus.
Das Musikzimmer führte Alexander Hero seine ganze Ohnmacht vor Augen. Jedesmal, wenn er es aufsuchte, mußte er es ohne Ergebnis wieder verlassen, und doch glaubte er fest, daß dort irgendwo der Schlüssel zu dem Geheimnis verborgen lag, das ihn so sehr beunruhigte. Innerhalb dieser vier Wände mußte die Antwort zu finden sein, ob es sich nun um eine echte übersinnliche Erscheinung oder einen grausamen Betrug handelte, denn in diesem Zimmer befand sich die Harfe, und hier hatte sich das Unmögliche ereignet.
Er konzentrierte sich auf die Gegenstände und ihre Anordnung im Zimmer und versuchte sich zu erinnern, was ihn bei einem früheren Besuch gestört hatte — war das eine leichte Veränderung gewesen, etwas, was er inzwischen vergessen hatte? Doch es wollte ihm nicht ins Bewußtsein heraufsteigen. Aber es störte ihn diesmal nichts Ungewöhnliches, als er vom Flügel zu den Notengestellen und der goldenen Harfe wanderte, die auf ihrem gewohnten Platz am Fenster stand. Er kippte sie vorsichtig auf die Seite und untersuchte sie mit einem Vergrößerungsglas und klopfte sie mit einem kleinen Stahlstab nach verborgenen Höhlungen ab, konnte jedoch keine finden. Auf der Unterseite des Resonanzbodens bemerkte er eine leichte Verfärbung und einige Kratzer, aber die Stelle war nicht größer als eine Shillingmünze und deutete auf nichts Verdächtiges hin. Ganz besondere Aufmerksamkeit schenkte er den Pedalen. Er suchte nach Spuren, die ein Spieler darauf zurückgelassen haben müßte. Doch auch die waren nicht vorhanden. Das Instrument war offenbar nach dem Tode von Lord Paradines Mutter aufpoliert worden. Fingerabdrücke fand er zwar, aber am falschen Ort. Offenbar schoben die Zimmermädchen die Harfe beim Saubermachen zur Seite.
Das mittlerweile wohlbekannte Gefühl von Enttäuschung überkam ihn wieder, und eine innere Stimme raunte ihm zu: Doch er sah ein, wie kindisch dieser Wunsch war.
Um seine Nerven zu beruhigen, öffnete er den Flügel, setzte sich und begann die ersten Akkorde von Bachs Tokkata und Fuge in d-Moll zu spielen. Er war ein guter Pianist und vergaß bald alles um sich her: Paradine Hall, die Gefahren und die quälenden Sorgen. Die Fuge schwoll an und brauste mächtig, wurde leiser und steigerte sich wieder in einem wundervollen Crescendo zu den prächtigen, donnernden Schlußakkorden, in denen Bach ihm Befriedigung schenkte.
Hero saß mit geschlossenen Augen am Flügel, und die letzten Töne verklangen. Da weckte etwas seine Aufmerksamkeit, was ihn veranlaßte, die Augen sehr rasch zu öffnen. Er fuhr auf dem Klavierschemel herum und betrachtete die Harfe lange und genau. Er erhob sich, trat näher und schaute sie so fasziniert an, als hätte sich ein Wunder ereignet. Ohne sie zu berühren, flüsterte er: «Ich Narr! Ich verfluchter Esel! Daß ich Idiot nicht auf die Idee gekommen
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