sich so grausame Dinge zutrugen, entsagen und trat in das dem Schloß benachbarte Kloster St. Relinda ein. Doch der ruchlose Lord Paradine konnte sie nicht vergessen, entführte sie aus dem Kloster und hielt sie im Schloß gefangen. Um ihren früheren Liebhaber zu benachrichtigen, wo sie sich aufhielt, spielte die unglückliche Frau am Fenster des Zimmers, in dem sie eingesperrt war, auf der Harfe ihre gemeinsame Lieblingsmelodie
. Die Rettung kam jedoch zu spät; sie und ihr ungeborenes Kind wurden ermordet, und ihre sterbliche Hülle verschwand spurlos. Seit jener Zeit galt es als böses Vorzeichen, wenn nächtlicherweile Harfenklänge im Schloß ertönten und die geisterhafte Gestalt der Nonne durch die finsteren Korridore huschte.
Nachdem er den üblichen Katalog von Unglücksfällen studiert hatte, die dem Erscheinen der Nonne durch viele Generationen gefolgt waren — hier ein Paradine, der sein Leben zur See verlor, dort ein anderer, der im Krieg umkam, ein dritter, der vom Henker ins Jenseits befördert wurde — , schloß Hero das Buch und dachte über die Verfasser von Gespenstersagen nach und darüber, was sie ihren Lesern für Unsinn zumuteten. Ganz abgesehen von den offensichtlichen Lücken in dem Bericht und der Tatsache, daß die Todesursachen der Paradines für die damaligen Zeiten keineswegs ungewöhnlich waren, würden genauere Untersuchungen über die Sage die Geschehnisse im Schloß in ein ganz anderes Licht rücken. Als erstes wollte er sich einmal die Ruinen dieses Nonnenklosters ansehen, die im Westen des Grundstücks lagen, wo der Fluß Stoke sich seeartig erweiterte. Er hoffte, daß Susan Marshall ihn begleiten würde, denn er wünschte die Schilderung von dem nächtlichen Überfall auf sie noch einmal von ihr selbst zu hören.
Sein Zimmer, das ihm auf Sir Richards Anregung im westlichen Flügel zugewiesen worden war, lag im ersten Stock am äußersten Ende des langen Korridors, der sowohl in den Haupttrakt des Gebäudes als auch in den östlichen Flügel führte. Es war gewissermaßen ein strategischer Punkt, und Hero war froh darüber, denn es gab ihm die Möglichkeit, im Falle von nächtlichen Störungen die wichtigsten Räume beider Flügel schnell zu erreichen. Neben dem Hauptaufgang gab es noch zwei Nebentreppen in jedem Flügel. Diejenige, die seinem Zimmer am nächsten lag, führte in die Bibliothek, den Salon und das Musikzimmer hinunter. Seine Fenster gewährten einen weiten Blick auf die Gärten vor dem Schloß, die lange Allee und die häßlichen, weißen italienischen Per-golas in der Ferne. Als er hinausschaute, gewahrte er Susan und Beth in Liegestühlen auf dem Rasen. Der blonde und dunkle Kopf steckten nahe beisammen und waren über Zeitschriften gebeugt. Es schien ihm eine gute Gelegenheit, Susan um ihre Begleitung zu bitten. Er nahm Stock und Pfeife und begab sich hinaus.
Unterwegs stieß er ganz unerwartet auf die Frau des Majors, die vor Überraschung einen kleinen Schrei ausstieß und rief: «Oh, Mr. Hero!» Doch er hatte das Gefühl, sie habe auf ihn gewartet, um genau im richtigen Moment aus der Tür zu treten. Sie trug ein einfaches graues Tweedkostüm und erweckte dennoch den Eindruck, von Kopf bis Fuß von Chanel angezogen worden zu sein.
«Ich bin Mrs. Wilson», sagte sie. «Sie erinnern sich meiner sicher nicht, aber...»
Hero sagte: «O doch, ich erinnere mich sehr gut.»
Sie warf ihm einen koketten Blick zu, begleitet von einem vielsagenden «Wirklich?» Doch dann fuhr sie sachlicher fort: «Es ist ja schließlich Ihr Beruf, sich an Leute und Dinge zu erinnern, nicht wahr?»
Hero bemerkte, wie anziehend sie trotz ihrer Magerkeit wirkte und dachte, daß Major Wilson wohl kaum der Mann war, sie glücklich zu machen. Sie war eine gepflegte Frau, geschmackvoll angezogen und elegant frisiert.
Sie fragte: «War es Ihnen gestern abend beim Dinner ernst, als Sie sagten, es bestehe immer noch Gefahr? Ich bin keine ängstliche Frau, aber mein Mann und ich sind zur Erholung hier, und ich muß gestehen, daß mich gewisse Vorkommnisse in diesem Haus sehr beunruhigen. Howard — das ist mein Mann, Major Wilson — lacht zwar bloß darüber, aber er schläft ja auch wie ein Bär. Da kann passieren, was will, er wacht nicht auf.»
Hero fühlte bei diesen Worten die altbekannte Erregung in sich aufsteigen. Sollte das Spiel schon so bald losgehen? Er dachte bei sich:
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