Immer diese Gespenster
blickte sie kühl und schweigend an und fragte dann nur: «Wollen Sie die Rolle spielen?»
Susan rang mit sich selbst. Laut aber erwiderte sie: «Gut, ich bin einverstanden, wenn Sie es für unbedingt nötig halten.»
Er streckte die Hände aus, nahm sie sanft bei den Schultern und sagte: «Sie sind ein tapferes Mädchen. Versuchen Sie zu schlafen, und fürchten Sie sich nicht; es wird nicht schlimm werden.» Damit drehte er sich um und ging davon.
«Bist du dir bewußt, daß Mark bis über die Ohren in Susan Marshall verliebt ist?» Lady Paradine sprach über das Niemandsland des Bade-und Ankleidezimmers hinweg zu ihrem Mann. Wie viele Ehepaare, die getrennt schlafen, zogen sie sich immer noch gemeinsam aus, und das war eigentlich die einzige Gelegenheit für private Gespräche persönlicher Natur, die ihnen noch blieb.
«Was sagst du? Tatsächlich? Nun, wenn es wirklich wahr ist, kann man ihm keinen Vorwurf machen.»
«Natürlich ist es wahr», sagte Lady Paradine. Das lange rote Haar, das ihr bis zum Gürtel reichte, schimmerte prächtig unter den rhythmischen Bürstenstrichen. Sie trug ein lila Neglige, und ihre Figur war immer noch gut, doch Lord Paradine hatte längst aufgehört, es zu bemerken. Irgendwann in ihrem Eheleben hatte er sein Interesse vom Schlafzimmer auf Pferde und Sport verlagert. «Was hältst du davon, als künftige Lady Paradine eine Amerikanerin hier zu sehen?»
Lord Paradine balancierte auf einem Bein, während er das zweite in die Pyjamahose schob. «Wie, was meintest du, Enid? Ach so, nun, was macht es denn aus, ob sie Amerikanerin ist oder nicht? Susan ist ein verdammt nettes Mädchen. Denk nur daran, wie sie diesen Gespenstern die Stirn geboten hat.»
Lady Paradine fand ein graues Haar und riß es aus. «Sie hat keinen Shilling», sagte sie ruhig.
Lord Paradine band die Schnur seiner Pyjamahose über dem rundlichen Bauch zu. «Ach so», sagte er, «eine Amerikanerin kann also nur nett sein, wenn sie reich ist.»
«So ungefähr», erwiderte Enid. «Ohne Geld sind diese Leute ganz unmöglich, das mußt du doch zugeben. Wie die Dinge heute liegen, hat Mark der Familie gegenüber geradezu die Pflicht, eine Geldheirat einzugehen — und es besser zu machen als du seinerzeit.»
Paradine, der eben in seine Pyjamajacke schlüpfen wollte, hielt inne und warf seiner Frau einen scharfen Blick zu. «Was soll das heißen?» sagte er. «Ich habe dich aus Liebe geheiratet, das weißt du ganz genau.»
Seine Frau blickte in den Spiegel und betrachtete die faltige Haut am Hals und die Runzeln um die Augen. «So, so?» murmelte sie. «Seltsam, was daraus geworden ist.»
Paradine erschrak. «Wie, was? Was soll daraus geworden sein? Sie ist immer noch da, ich meine, in mir. Ich habe dich doch immer geliebt und tue es jetzt noch, oder etwa nicht?»
Lord Paradine gab es auf und lächelte ihrem Mann gelassen zu. «Natürlich, mein Lieber», sagte sie. «Reg dich nur nicht auf.»
Ein Ausdruck großer Erleichterung breitete sich über Lord Paradines Züge aus, als er sich der drohenden Gefahr einer ehelichen Auseinandersetzung so leicht entrinnen sah. Er sagte: «Hat der Junge schon etwas verlauten lassen?»
«Nein, natürlich nicht. Und außerdem bleibt immer noch die Frage, welchen von beiden sie nehmen wird.»
«Wie?» Paradine drückte gerade Zahnpasta auf die Bürste und hielt dabei inne. «Ich verstehe nicht, was du damit meinst.»
«Mark oder Richard — sie sind beide verliebt in sie.»
«Was? Lockerie?» Nun war Paradine ernsthaft schockiert. «Richard könnte ja ihr Vater sein!»
«Falls er mit sechzehn Jahren geheiratet hätte», meinte Lady Paradine. «Wie alt kann er denn sein? Etwa zweiundvierzig, schätze ich. Bloß weil er im Krieg ein paar graue Haare bekommen und mit dir in einer Division gedient hat, braucht er noch lange nicht so alt zu sein wie du. Du bist vierzehn Jahre älter, John.»
«Aber das ist doch lächerlich, Enid», sagte Paradine und griff nach dem Mundwasser. «Er hat einen Sohn von — wie alt ist Julian jetzt? Bald neun, glaube ich. Kein junges Mädchen würde...»
«Red doch keinen Unsinn, John. Heutzutage ist es üblich, daß junge Mädchen ältere Männer heiraten. Und manche haben auch Kinder sehr gern — Beth zum Beispiel.»
«Beth? Was hat
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