Immer dieser Michel
schlimmer und schrecklicher als alle Werwölfe in ganz Smaland."
Ja, das ist klar", sagte Michel. "Sicher sind Werwölfe richtige kleine Schoßhündchen im Vergleich zu ihr. Denn die gönnt keinem etwas. Ich frage mich übrigens, wer es nur gewesen sein kann, der das kleine Würstchen aus dem Schrank gestohlen hat."
"Das war ich", schrie die Maduskan. "Das war ich! Ich gestehe alles, wenn ihr mir nur hier heraushelft!"
Da sahen Michel und Alfred einander an und schmunzelten.
"Alfred", sagte Michel, "hast du denn keine Augen im Kopf?
Siehst du nicht, daß das dort unten die Maduskan ist und kein Werwolf?"
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"Nicht möglich!" sagte Alfred. "Wie konnten wir uns so irren?"
Ja, das verstehe ich auch nicht", sagte Michel. "Gewiß, sie sehen sich ähnlich, ja gewiß, aber ein Werwolf trägt doch kein Tuch, soviel ich weiß."
"Nein, sicher nicht! Aber Schnurrhaare haben Werwölfe auch -
oder?"
"Pfui, Alfred, nun mußt du aber ein bißchen nett zu der Maduskan sein", sagte Michel. "Hol ihr eine Leiter!"
Sie bekam also eine Leiter in die Grube, und sie kletterte laut keuchend hinaus. Dann rannte sie los, daß es nur so um sie pfiff, denn jetzt wollte sie Katthult nie wieder sehen.
Niemals mehr wollte sie dort auch nur einen Fuß hinsetzen. Bevor sie jedoch hinter der ersten Wegbiegung verschwand, drehte sie sich um und rief:
Ja, ich habe die Wurst genommen! Gott verzeihe es mir, aber 'am Weihnachtsabend hatte ich es vergessen. Ich schwöre, daß ich es vergessen hatte."
"Nun, dann war es ja nur gut, daß sie hier ein Weilchen sitzen durfte, um sich darauf zu besinnen", sagte Michel. "Auf jeden Fall sind Wolfsgruben gar nicht so schlecht."
Die Maduskan aber flitzte, so schnell ihre Beine sie tragen konnten, den Hügel hinunter. Und sie war ziemlich außer Atem, als sie am Armenhaus ankam. Nun schliefen sie wohl dort alle in ihren verlausten Betten, und sie wollte sie um nichts in der Welt wecken. Deshalb schlich sie sich leise hinein.
Da lagen sie. Sie zählte sie wie Schafe zusammen. Stolle-Jocke und Kalle-Karo, Johann-Ein-Öre und Trödel-Niklas, Lumpen-Fia und Unken-Ulla, die Vibergsche und Salia Amalia, alle waren sie da, das sah sie. Plötzlich aber sah sie noch etwas. Auf dem Tisch neben Salia Amalias Bett - o Schrecken, o Graus -, da stand ein Gespenst! Ja, bestimmt war das ein Gespenst, wenn es auch aussah wie ein Schwein - ein kleines gruseliges
Mondscheinschwein. Oder vielleicht war es sogar ein Werwolf, der dort stand und sie mit seinen grausam glitzernden weißen Augen anglotzte.
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So viele Schrecken an ein und demselben Tag, das wurde ihr doch zuviel. Mit einem Seufzer sank sie zu Boden. Da lag sie und erwachte nicht eher wieder zum Leben, als bis die Sonne durch die Fenster des Armenhauses schien, und das war am dritten Weihnachtstag.
Am dritten Weihnachtstag kamen die Verwandten aus Ingatorp zum Festessen nach Katthult. Ach, was sollte das nur für ein Festessen werden? Nun ja, es gab immerhin im Vorratshaus frisch eingelegtes Schweinefleisch im Salzfaß, und Schweinebraten mit Kartoffeln und Zwiebelsoße konnte man notfalls einem König vorsetzen.
Als aber Michels Mutter an diesem Abend in ihr blaues Schreibheft schrieb, da war sie traurig - das muß zugegeben werden -, und die Seite zeigt heute noch Flecken, als wären Tränen daraufgefallen.
"Dritter Weihnachtstag, abends, in meiner Not", stand da als Überschrift. Und dann: "Heute hat es den ganzen Tag im Tischlerschuppen gesessen, das arme Kind. Sicher ist er eigentlich fromm, der Junge, aber manchmal, glaube ich, ist er zu verrückt."
Das Leben auf Katthult aber ging weiter. Bald war der Winter vorbei, und es wurde Frühling. Michel saß oft im
Tischlerschuppen, und wenn er das nicht tat, dann spielte er mit Ida oder ritt auf Lukas oder kutschierte den Milchwagen, ärgerte Lina und sprach mit Alfred und machte immer wieder neuen Unfug, wodurch sein Leben - vom Morgen bis zum Abend - so herrlich und abwechslungsreich wurde. Zu Beginn des Monats Mai hatte er nicht weniger als hundertfünfundzwanzig Holzmännchen auf dem Regal im Tischlerschuppen stehen, dieser tüchtige Junge!
Alfred machte keinen Unfug, aber er hatte trotzdem Sorgen, denn noch immer hatte er sich nicht getraut, Lina klarzumachen, daß er
- ja, daß er sich nicht mit ihr verheiraten wollte.
"Es wird wohl doch besser sein, wenn ich es übernehme", sagte Michel, aber davon wollte Alfred überhaupt nichts wissen.
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"Ich habe dir doch erklärt, das muß ein
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