Immer Schön Gierig Bleiben
ließ über die Zentrale die Telefonnummer von Amelie Keller ermitteln und rief dort an. Ein Mann ging an den Apparat. »Hat Ihre Frau heute Morgen Sushi erhalten?«
»Lassen Sie meine Schwester in Ruhe, Sie Widerling«, sagte der Mann.
Pachulke klärte den Irrtum auf. Wie Hilde Mattuschek war die Frau alleinstehend.
»Dieser Carsten hat zwar nicht mehr alle Tassen im Schrank, und ich frage mich, wie es seine Frau mit ihm ausgehalten hat …«, sagte Zabriskie.
»Aber wir haben nichts gefunden, was ihn mit den Morden an Melanie Schwarz und Verena Adomeit in Verbindung bringt …«, sagte Bördensen.
»Mit Ausnahme des Schminkzeugs«, sagte Pachulke. »Das Schminkzeug und die Sachen von Meiers Sohn müssen ins Labor. Dieses Haus wird beschattet, falls er zurückkommt.«
»Moment mal«, sagte Zabriskie. Sie ging ins Schlafzimmer und kehrte mit einer dunklen Krawatte mit einem geometrischen Muster zurück. »Die war im Wäschekorb«, sagte sie. »Und auf dem Ausdruck bei Haeckel.«
Wieder in der Baracke brachte Zabriskie zuerst die Sachen von Meiers Sohn und die Krawatte zu Engine Plink.
»Na wunderbar«, sagte Plink und presste die Lippen zusammen. »Erst verschleppt mir Pachulke meinen Assistenten zum Handy-Dauerdienst, und jetzt schneien Sie kurz vor Feierabend mit einem Berg Beweismaterial herein.« Dann zwinkerte sie Zabriskie zu. »Organisieren Sie einen Beamten, der Löffelholz ablöst, dann legen wir los.«
Löffelholz saß vor seinem Computer im Erdgeschoss der Baracke. Vor ihm lag eine leere Tüte Studentenfutter. Er war sehr froh, als ihn Zabriskie erlöste, allerdings erschien in diesem Augenblick ein Signal auf dem Bildschirm. Die Karte, die die ganze Stadt im Überblick gezeigt hatte, zoomte automatisch auf den Ausschnitt, in dem ein pulsierender Kreis erschien.
»Da«, sagte Zabriskie, »da ist was.«
Pachulke betrat das Labor der Spurensicherung. Er hatte Dorfner im Schlepptau, der unablässig auf ihn einredete. »Und dann«, sagte Dorfner gerade, »klicke ich auf eine Spalte, und alles wird alphabetisch sortiert. So A, B, C und so weiter.«
»Ausgezeichnete Arbeit, mein lieber Dorfner. Weiter so.«
Löffelholz zoomte näher ran. »Das ist irgendwo an der Karl-Marx-Allee, Höhe U-Bahnhof Schillingstraße.«
Das Signal verschwand wieder.
»Ist er in der U-Bahn?«, fragte Zabriskie.
»Kann sein«, sagte Löffelholz, »aber das Ding geht immerzu an und aus. Außerdem kann er es jeden Moment zerstören. Dann gibt es kein Signal mehr.«
»Wir haben kurz ein Signal Nähe Schillingstraße bekommen«, sagte Zabriskie.
Pachulke kratzte sich am Kopf. »Schillingstraße, Moment mal.« Er ballte die Faust. »Das Café Tokio, der Sushi-Tempel dieser Stadt.« Zu Dorfner sagte er: »Sie kommen mit. Bördensen ist nach Hause, und Stiesel macht gleich die Vernehmung von Olivia Gutierrez.«
»Danke, Pachulke.« Dorfner wärmte sich mit ein bisschen Schattenboxen auf. »Darf ich vorne sitzen?«
»Nein«, sagte Zabriskie.
37
Ich mag es wirklich nicht, wenn man mich beim Essen stört, vor allem, wenn es Sushi gibt. Wenn ich gehetzt aufstehen muss, ist der ganze meditative Effekt dahin:
Auf kleinen Tellern
Gleitet es stetig herbei
Rolling Sushi Yo!
Aber ich weiß genau, wie viele Streifenwagen hier an einem normalen Abend vorbeifahren, und als der dritte binnen zehn Minuten über die Karl-Marx-Allee brauste, wusste ich, dass dieses Mahl ein abruptes Ende nehmen würde. Ein Paket mit Ikura noch, dann war es Zeit zu gehen.
Beim Café Tokio war ich ein Stück weit egoistisch, obwohl mir Eigennutz sonst zutiefst fremd ist. Aber früher gab es hier nur Italiener. Man ging zum Italiener. Und zum Griechen, zum Jugoslawen, zum Inder. Und das Zeug dort brachte ich kaum runter.
In der Karl-Marx-Allee gab es das Café Moskau, eine echte Institution. Mit Russendisco und geschmackvoll aufgebrezelten jungen Frauen aus Petersburg oder Omsk. Und natürlich Moskau. Da war der Name Programm. Und dann die Frage: Muss das so bleiben? Da kann man doch mehr daraus machen. Dann mal abklappern, ob jemand Dreck am Stecken hat: War einer der beteiligten Künstler und Architekten des Gebäudes bei der NSDAP gewesen? Oder beim Ministerium für Staatssicherheit? Und dann einen ersten Artikel lancieren: Wie kann es in dieser Stadt ausgerechnet in der Straße, von der der Volksaufstand ausging, ein Café geben, das nach der Hauptstadt des unterdrückerischen Regimes benannt ist, das den Aufstand niederschlug? Ein Schlag in die
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