Immer Schön Gierig Bleiben
Durchsicht auf den Schreibtisch knallte. Je staubiger und älter, desto besser. Dabei diente er sich nicht an, nach dem Motto: Wer am lautesten nach den unbeliebten Aufgaben schreit, kommt am schnellsten nach oben. Nein, er mochte diese alten Sachen.
»Und wenn wir wissen, wer es war, darf ich ihn festnehmen?«, fragte Dorfner.
Alle sahen Pachulke an.
»Also, mein lieber Dorfner …«, sagte er.
»Ich will endlich mal raus hier«, sagte Dorfner. »Ich habe Anspruch auf eine Tätigkeit, die meinen Fähigkeiten entspricht.«
»Deinen formalen Qualifikationen, nicht deinen Fähigkeiten«, sagte Zabriskie. »Das ist ein wesentlicher Unterschied.«
»Wenn es eine heiße Spur gibt«, sagte Pachulke, »dürfen Sie in Begleitung von Zabriskie ein Gespräch führen und gegebenenfalls eine Festnahme veranlassen.«
Dorfner hob einen Arm und steckte sich zwei Finger in den Mund, um zu zeigen, was er von seiner Betreuerin hielt.
»Wieso ich?«, fragte Zabriskie.
»Niemand hat sich intensiver mit der Psyche des Kollegen Dorfner befasst als du, Zabriskie«, sagte Pachulke.
Das war eine boshafte Untertreibung. Zabriskie und Dorfner hassten sich innig. Aber von Zabriskie ließ Dorfner sich etwas sagen. Nicht nur deswegen war Pachulke froh, Zabriskie in seinem Team zu haben. Sie war der meistens gutgelaunte Gegenpol zu Pachulkes Melancholie und gab ihm Freiraum für seine Extratouren. Den Besuch eines Versteigerungstermins mitten unter der Woche beispielsweise.
»Was?« Pachulke hatte nicht gemerkt, dass Zabriskie mit ihm geredet hatte.
»Was machst du?«, fragte Zabriskie. »Welchen Beitrag leistest du zu den Ermittlungen?«
Wieder richteten sich alle Blicke auf Pachulke.
»Ich möchte zuerst den Obduktionsbericht von Tenbrink lesen. Man darf die Ermittlungen nicht zu früh verengen. Und dann mache ich mir ein Gesamtbild.«
Zabriskie seufzte, Stiesel und Bördensen sahen sich an und zuckten die Schultern. Pachulke lächelte in sich hinein. Niemand interessierte sich so für Obduktionen wie er. Das überließen die anderen gern ihm. Bei der Gelegenheit konnte er auch gleich ein paar Büroklammern verbinden.
Als Zabriskie nach der Besprechung zurück an ihren Schreibtisch kam, traute sie ihren Augen nicht. Dorfner las schon wieder die Zeitung. Normalerweise steckte er seine Nase nur in sein Folterheftchen.
Während sie das Vernehmungsprotokoll für die Zeugin Jurgeleit schrieb, spähte sie immer wieder zu ihrem Intimfeind hinüber. Als er mit einem Stift etwas in der Zeitung anstrich, wurde sie neugierig. Waren das Kleinanzeigen? Verkaufte jemand seine Kampfsportausrüstung? Eine Streckbank? Eine Garotte? Oder sollte es wirklich der Fall sein, dass Dorfner seine Degradierung zum Schreibtischknecht akzeptierte? Führte er gerade Ermittlungen durch? Das hätte Zabriskie einen Großteil der Freude an diesem Arrangement genommen. Sie wollte ihren Kollegen leiden sehen. Dorfner neigte zur Gewalt, er überschätzte seine Möglichkeiten, er hatte ein Frauenbild, das aus dem Pleistozän stammte, und er war eitel wie eine alternde Transe. Auf seine Muskeln, nicht auf seine High Heels.
Dorfner hasste Zabriskie ebenfalls, das wusste sie, aber was ihn umtrieb, bildete er sich nur ein. Er hielt Zabriskie für lesbisch, weil sie ihn mehrfach hatte abblitzen lassen. Gleichzeitig hielt er sie für eine Schlampe, weil er glaubte, dass sie ihre Karriere sexuellen Dienstleistungen für praktisch alle Männer im Polizeipräsidium außer ihm selbst verdankte. In Dorfners Augen war sie eine Sadistin, weil sie ihn pausenlos quälte. Er hielt sie für unzuverlässig, weil sie gern Single Malt Whiskey trank und jedes Jahr ausgiebig Urlaub in den USA machte. Dort lebte ihre Mutter und dort riss sie sich jedes Mal eine andere Liebschaft auf. Nun ja, alles bildete er sich nicht ein. Mit dem Verdacht, dass Zabriskie ihn gern quälte und ihrem Verbrauch an Whiskey und Männern lag er sogar ziemlich nah an der Wahrheit.
Als Dorfner auf die Toilette ging, sah Zabriskie den geeigneten Moment gekommen, um sich sachkundig zu machen. Weil Pachulke ihr eben die Obhutspflicht aufs Auge gedrückt hatte – auch der hatte offenbar seine sadistische Seite –, sah sie sich als legitimiert an, Dorfners Schreibtisch zu überprüfen.
Neben dem Computer stand ein Abreißkalender.
Zen oder Die Kunst einen Arm auszukugeln. Mit Steven Seagal durch das Jahr
. Daneben lag eine zerlesene und schlampig zusammengefaltete Zeitung. Was hatte er da bloß angestrichen?
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