Immer Schön Gierig Bleiben
unter Pachulkes Füßen. Pachulke sah Stiesels roten Schopf. Heute war Stiesels erster Arbeitstag, und wie immer musste er erst einmal eine Schneise in das Chaos schlagen, das Bördensen verursacht hatte. Stiesel war der richtige Mann für diese Arbeit. Er war geduldig und methodisch und hatte keine Scheu, sich durch Unmengen von Papier zu wühlen.
In der oberen Etage kam als Erstes das Vernehmungs- und Beratungszimmer. Wenn ein Zeuge oder Beschuldigter im Vernehmungszimmer saß, fanden die Beratungen zu Pachulkes großem Leidwesen in seinem Büro statt. Eigentlich hatte man ihnen einen eigenen Besprechungsraum zugesichert, aber dieser Containertyp durfte nur auf bis zu drei Etagen aufgestockt werden. Jetzt war Ende Gelände.
Als Pachulke an Zabriskies und Dorfners gemeinsamen Büro vorbeikam, warf er einen Blick hinein. Zabriskie arbeitete an den beiden Berichten, die die Staatsanwaltschaft zu ihnen herübergereicht hatte. Kurz durchzuckte ihn Schuldbewusstsein. Das hätte eigentlich er machen sollen. Aber der Moment war schnell vorbei. Birke. Er hatte sich mit dem Schreiner lange beraten und dann für ein Regal aus Birkenholz entschieden. Das helle Holz würde das Wohnzimmer in Pachulkes Wohnung am Lietzensee kaum enger aussehen lassen.
Zabriskie sah kurz auf. »Wir haben eine Tote auf Stralau. Die Leiche ist schon bei Tenbrink. Bericht gibt’s morgen. Bördensen untersucht ihre Wohnung.« Sie tippte etwas in ihren Computer. »Die Tote ist eine Maklerin.«
Pachulke verzog das Gesicht. Hoffentlich war das kein Mord mit politischem Hintergrund. Die Wohnsituation in der Stadt war zum Dauerthema geworden. Kein Wochenende ohne Mieterdemo. Ab und zu brannte mal ein Luxuswagen in einem Kiez, in dem aus Mietwohnungen Eigentumswohnungen gemacht wurden. Bisher hatte sich dabei noch kein politischer Hintergrund feststellen lassen, was aber bestimmte Zeitungen nicht daran hinderte, die Brandstiftungen Stadtteil- und Sozialaktivisten in die Schuhe zu schieben. Pachulke nickte Dorfner zu.
Der blickte von seiner Zeitung auf. »Morgen, Pachulke. Ich dachte, ich könnte vielleicht auch mit nach Stralau und ein paar Zeugen befragen, falls es Bedarf gibt.«
»Gibt es nicht«, sagte Zabriskie und tippte etwas in ihren Computer.
»Mein lieber Dorfner«, sagte Pachulke. »Haben Sie sich schon ein paar Namensvorschläge für das aufblasbare Krokodil überlegt?«
Dorfner zückte ein Blatt Papier. »Die Liste habe ich schon über den Verteiler geschickt.«
»Verstehe«, sagte Pachulke. »Was ist mit den Sammelbildchen historischer Polizeiuniformen?«
Dorfner biss sich auf die Unterlippe. »Die Arbeit stockt etwas. Es ist nicht einfach, diese ganz alten Uniformen ausfindig zu machen.«
»Na, solange Sie damit noch zu tun haben, will ich Sie nicht mit Ausflügen nach Stralau behelligen. Das ist eine äußerst wichtige Aufgabe.«
Zabriskie lächelte in sich hinein und tippte weiter in ihren Computer.
Dorfner räusperte sich. »Aber ein Ausflug ins Freie würde mir sehr viel bedeuten. Außerdem habe ich ja auch einen Anspruch darauf.«
»Mal sehen«, sagte Pachulke und ging in sein Büro.
Dort fand er seinen Schreibtisch so leer, wie er ihn verlassen hatte. Im Lauf der Jahre war er ein Meister des Delegierens geworden. Die Aktenströme flossen an ihm vorbei und er hatte Zeit für seine wichtigste Tätigkeit im Büro, dem Verfertigen von Büroklammerketten und -mustern. In einem Regal standen viele kleine Kartons mit Büroklammern in allen Farben und Größen. Bei den Verwaltungsangestellten vorn im Hauptgebäude, die für die Materialbeschaffung zuständig waren, stand Pachulke unter Beobachtung. »Können Sie mir erklären«, hatte ihn Frau Walther vergangene Woche gefragt, »wieso Ihre Mordkommission mit fünf Mitarbeitern in einem Jahr mehr Büroklammern verbraucht als das Pentagon?«
»Wir arbeiten eben besonders sorgfältig«, hatte Pachulke erwidert. Was auch der Wahrheit entsprach. Pachulke ließ sich Zeit beim Verfertigen von Büroklammerketten. Ein minimalistisch und zugleich ausgereiftes Werk wie
Sieben Würmer
, das Pachulke gerahmt und an der Wand des Containers befestigt hatte, schüttelte man nicht einfach mal so aus dem Ärmel.
Wenn in Pachulkes Büro getagt wurde, musste er das aktuell in Arbeit befindliche Werk vom runden Tisch nehmen. Es landete dann zusammen mit den Entwürfen und angefangenen Arbeiten in einem Planschrank, wie er sonst bei Architekten oder Landschaftsplanern in der Ecke stand. Außerdem
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