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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
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mich in dieser Stadt am Anfang so beeindruckt hat, das war die ungeheuchelte Unfreundlichkeit der Leute. Einfach rundheraus mal:
Halt die Fresse, sonst polier ich sie dir
, wenn man nach dem Weg fragt. Die wirkte auf den ersten Blick so ehrlich. Gar nicht lang rumreden, das hatte was Erfrischendes. Und mir hilft es, wenn ich auf den ersten Blick ungekünstelt und ehrlich wirke. Obwohl es bei meinem ersten Aufenthalt auch Enttäuschungen gab, bin ich nach dem Ende meiner Ausbildung wieder hierher zurückgekommen: In die Stadt, die niemals aufgibt und niemals Geld hat und niemals um eine Antwort verlegen ist und immerzu Pläne schmiedet, die zwei Nummern zu groß sind für sie. Die lokale Politik hat etwas von Kleinkriminellen aus der Stummfilmzeit. In jeder Folge planen sie das große Ding, und immer kommt etwas dazwischen. Aber sie werden nie erwischt und deshalb machen sie immer so weiter und schmieden den nächsten und entscheidenden Coup. Die doofen Gangster, die immer in dieselbe Bank einbrechen wollen. Diese Hilflosigkeit, wenn es darum geht, Großes zu erreichen, hat etwas Anrührendes. Was man aus dieser Stadt alles machen könnte.
    Ich bin Rechtsanwalt. Meine Spezialgebiete sind Wohneigentumsrecht, Mietrecht und Immobiliarsachenrecht. Meine Promotion fiel nicht so gut aus, wie ich es mir eigentlich erhofft hatte. Dabei war mir das Thema eigentlich auf den Leib geschneidert. Danach sagte ich dem Strafrecht adieu. Zivilrecht, das pralle Leben der Verträge und Vereinbarungen, das Wesen und Weben der Menschen, die pausenlos miteinander Verpflichtungen eingehen, diesen Verpflichtungen nicht gerecht werden, sanktioniert werden müssen und sich doch irgendwie vertragen müssen – Vertrag kommt von sich vertragen –, das ist die wirkliche Herausforderung. Nun bin ich zwar Anwalt, aber gerade kein Fachanwalt, was nur mit ständiger Lernerei verbunden wäre. Im Gegenteil habe ich ein ausdifferenziertes Portfolio. Mein Tätigkeitsprofil unterscheidet sich in einigen Aspekten doch ganz wesentlich von der bloßen Rechtsberatung oder der Vertragsgestaltung. Ich sehe mich als Entwickler, als Geburtshelfer. Ich bin jemand, der hilft, dass Visionen Wirklichkeit werden, jemand, der bereit ist, Grenzen zu überschreiten, damit in neu geschaffenen Freiräumen Projekte realisiert werden können. Ideen, die es verdient haben, realisiert zu werden. Außerdem helfe ich Menschen in Not, Menschen, die nicht mehr weiter wissen und die Ermutigung brauchen, um nach neuen, ganz individuellen Entwicklungsmöglichkeiten zu suchen.
    Das mag sich abstrakt anhören, funktioniert aber ganz konkret. Mal angenommen, irgendwo in dieser Stadt steht ein Wohnhaus aus den fünfziger Jahren. So ein richtiger Schandfleck mit Eternitbalkonen und winzigen Hasenställen als Wohnungen. Ein typischer Nachkriegsbau. Niemand kann etwas dafür, dass solche Häuser gebaut wurden. Die Architekten und die Bauverwaltung nicht, die damals schnell Wohnraum schaffen mussten, die Nachkriegsbevölkerung nicht, die ja auch irgendwo unterkommen musste. Doch die heutige Generation von Mietern hat im Lauf der Jahre ein geradezu perverses Heimatgefühl für dieses hässliche Gemäuer entwickelt. So wie die Bewohner einer Laubenkolonie glauben, ihr Vereinsheim mit der Vollholzverschalung, dem Dartautomaten, dem Playboykalender, der rustikalen Theke über Eck sei schön, können die Mieter nicht von einem Haus lassen, dass der Weiterentwicklung einfach nur noch im Weg steht. Und weil die heutigen Bewohner so stolz auf ihren Alptraum sind, halten sie zusammen. Sie haben sich organisiert, sie wollen nicht raus. Aber raus sollen sie und raus müssen sie, denn sie sind Mieter, und jeder Mieter ist nichts weiter als ein potentieller Mietnomade. Auf der anderen Seite steht der vom Schicksal geprügelte Eigentümer. Er will das Grundstück verkaufen, damit etwas Neues entstehen kann. Er kennt Leute, die aus diesem Grundstück etwas machen wollen. Zum Beispiel so etwas wie
Leben und arbeiten in den Dingsbumshöfen
. Seit den Hackeschen Höfen läuft das so: Man nennt seine neue Wohnanlage Irgendwie-Höfe, Autobahnzubringer-Höfe, Kläranlagen-Höfe, Abdeckerei-Höfe, Hauptsache Höfe. Und sofort kann man pro Quadratmeter für drei Euro mehr vermieten. Oder für dreihundert Euro mehr pro Quadratmeter verkaufen.
    Also, dieses alte Haus muss weg, aber die Leute wollen nicht raus. Aus Prinzip nicht. Das Prinzip heißt Sozialneid. Die grämen sich, dass da jemand wohnen könnte, der in

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