Immer Schön Gierig Bleiben
einem Jahr mehr verdient als sie in ihrem ganzen Leben. Was sie sagen, ist:
Wir wollen nicht raus wegen der guten Nachbarschaft. Wegen der gewachsenen Strukturen. Wegen der Hausgemeinschaft
. Mein Job besteht darin, diesen Beton aus Selbstüberschätzung, Engstirnigkeit und Sentimentalität geschmeidig zu machen. Die Leute müssen Wachs in den Händen des Investors sein.
Wie gehe ich dabei vor? Es gibt viele Möglichkeiten. Man kann Einzelgespräche führen und die Leute mit kleinen Prämien zum Wegzug bewegen. Gut, wenn man weiß, was sie finanziell gerade vorhaben. Da kann ein Gespräch mit der Hausbank weiterhelfen. Dann gibt es natürlich die üblichen Daumenschrauben: Baulärm, kaputte Sanitäranlagen, ausgefallene Heizungsanlagen, eine fünf Monate versehentlich nicht bezahlte Rechnung für die Müllentsorgung. Aber das bringt einen schlechten Ruf ein, kostet Zeit und Geld vor Gericht. Viel eleganter ist es, wenn man die uneinsichtige Hausgemeinschaft infiltriert und dem Popanz von der guten Nachbarschaft mal auf den Zahn fühlt. In jedem Fall ist es unerlässlich, dass man niemals als Rechtsbeistand des Eigentümers in Erscheinung tritt. Am besten bleibt man vollständig unsichtbar. Man wirkt im Verborgenen, und diese Diskretion erhöht das Honorar in den meisten Fällen beträchtlich. Ein wohlverdienter Schattenzuschlag.
Als Erstes wartet man, bis eine Wohnung frei wird. Meistens dauert das nicht lang, denn in so einem Haus gibt es viele alte Mieter. Und einer von den ganz alten Mietern stirbt dann auch. Frau Warnke aus Charlottenburg zum Beispiel. Sie war Trümmerfrau und hat das Viertel zusammen mit ihrer Schwägerin quasi allein aufgebaut. Jetzt ist sie gestorben.
Man glaubt nicht, was man in so einer Wohnung alles findet, die sechzig oder siebzig Jahre lang bewohnt wurde. Frau Warnke aus der Danckelmannstraße. Spannende Gegend, aus der kann man etwas machen. Sie hatte Kochbücher im Regal. Darunter auch Pilzkochbücher: Bestimmen – Sammeln – Zubereiten. Eins war aus dem Jahr 1948. Das muss ein mühsames Geschäft gewesen sein damals. Bei jedem zweiten Pilz stand dort:
Lange wässern und garen, dann zum Verzehr geeignet
. Oder:
Stark gewürzt ergibt dieser Pilz eine sättigende Mahlzeit
. Zehn Jahre später, in einem Kochbuch von 1958, wurden die gleichen Pilze nur als
ungenießbar
bezeichnet. Der Wohlstand lässt die Menschen wählerisch werden.
Auch was den Nachmieter von Frau Warnke betrifft, muss man wählerisch sein. Man muss an den richtigen Menschen vermieten. Der richtige Mensch ist in diesem Fall einer, der mit der gewachsenen Hausgemeinschaft nichts zu tun haben will. Der abseits steht, der anders ist. Der niemanden leiden kann, und den niemand leiden mag. Erst ist er nur da, dann verbreitet er schlechte Laune, schließlich geht er zum Angriff über. Es ist erstaunlich, wie schnell dieser neue Mieter Allergien entwickelt. Er reagiert extrem empfindlich auf das, was die Hausgemeinschaft erst zur Hausgemeinschaft macht. Was haben wir hier Häuser leer bekommen mit Allergien in den letzten Jahren, ein Traum. Jeder Fünfte leidet heute an einer Allergie. Bei uns spielt es keine Rolle, ob die eingebildet sind oder echt. Wir müssen den Allergiker nicht behandeln, wir wollen nur, dass er uns hilft, eine Immobilie verkaufsfertig zu machen. Es kommt darauf an, den richtigen Arzt zu finden, auch das gehört zu meiner Arbeit. Jemand, der mit Phantasie an die Sache rangeht, jemand, der auch im Gerichtsaal im Angesicht eines Gegengutachters die Nerven behält. Und natürlich muss man gleich eine Handvoll Ärzte haben. Das sieht doch blöd aus, wenn immer derselbe Name auftaucht.
Meine Suche nach Kontakten war es auch, die diese Verena auf meine Spur gebracht hat. Die hätte auch gerne die Adresse von einem Arzt von mir bekommen. Aber der Arzt sollte Verena kein Attest ausstellen, sondern einen von ihr aufgesetzten Kaufvertrag für eine Eigentumswohnung unterzeichnen. Jetzt unterzeichnet ein Arzt ihren Totenschein. Dumm gelaufen.
Wenn die Hausgemeinschaft einen eigenen Garten angelegt hat, ist der Nachmieter von Frau Warnke gegen Pollen allergisch. Wenn die Leute gerne grillen, ist er gegen Rauch allergisch. Wenn sie einen Goldfischteich angelegt haben, klagt er gegen die mangelnde Nachtbeleuchtung, denn er könnte auf dem Weg zur Mülltonne stürzen und ertrinken. Dieser ungebremste Selbstverwirklichungsdrang heute treibt ja die merkwürdigsten Blüten und bietet jede Menge Angriffsfläche. Wenn
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